Epilog

Es ist lange her, dass Dieter Grüngarten sich so wohl gefühlt hat wie heute abend. Marjana sitzt ihm gegenüber. Die Erleichterung darüber, ihre Eltern erreicht zu haben, steht ihr immer noch ins Gesicht geschrieben. Die Kinder sind happy darüber, dass Marjana bei ihnen bleiben wird, und auch Elena teilt die Freude der jungen Frau.
Der Nachtisch, alle haben sich für Eis entschieden gehabt, ist verspeist, da sieht Dieter den richtigen Zeitpunkt gekommen, den Grund zu verkünden, warum er sie alle zum essen eingeladen hat. Nicht den Ursprünglichen, die Überweisung für den Geschäftsabschluss, das ist Vergangenheit.
In der Mittagspause hatte er sich zu einem Spaziergang entschieden, eine in der Nähe des Bürogebäudes befindliche Parkanlage aufgesucht, sich dort auf eine Bank gesetzt und den Enten im Teich zugeschaut. Irgendetwas war in Bewegung geraten bei dem Mann. Zweifel waren aufgekommen. Midlife-Crisis kommt ihm als erstes in den Sinn. Ist es das Schreiben der unbekannten Verfasser gewesen, ihre Forderungen an ihn? Durchaus möglich. Eine Veränderung, das ist es, was Dieter im Kopf umherschwirrt. Zuerst nur wie ein kleines Licht in einer dunklen Straße, das größer wurde und schließlich hell erstrahlte. Eine Erleuchtung. Dieter Grüngarten muss über den Begriff schmunzeln. Zumindest aber eine Erkenntnis. Ja. Das klingt gut.
„Ich habe euch etwas mitzuteilen.“ Zuerst ist es lediglich Marjana, die dies mitbekommt. „Was?“ Elena schaut von dem Bildschirm ihres Smartphones auf. „Kinder, hört mal zu! Papa will was erzählen.“ Dieter wartet, bis alle Augenpaare auf ihn gerichtet sind. „Ich habe vor, ein Restaurant zu eröffnen.“ „Wie bitte?“ „Ein Restaurant. Ich weiß noch nicht genau, was. Wo die Leute gerne hingehen.“ „Eine Pizzeria!“ rufen seine Kinder. „Ja, vielleicht sogar eine Pizzeria. Mit einer Bar, da läuft alte Musik. Swing, Louis Armstrong. Aber auch mal was aus den 90ern…“ Dieter beamt sich zurück in die Zeit, als er mit einer Clique von Kommilitonen durch die Kneipen und Discos der Universitätsstadt gezogen ist.
„Und auch mit Livemusik?“ „Ja, das ist eine Idee!“ Marjana und er sind auf dem gleichen Level. „Aber was ist mit Deiner Arbeit? Ich meine, dort wo Du jetzt bist?“ Dieter überlegt, was er sagen kann, damit Elena seine Überlegungen nachvollziehen kann. „Ich…diese eintönige Büroarbeit, sie füllt mich einfach nicht mehr aus.“
Eine schöne Begründung. Sie ist auf jeden Fall leichter zu begreifen, als wenn er begonnen hätte, von dem Licht zu erzählen. Da im Park. Die Sonne, klar, wie ihre Strahlen so schön durch die mit grün sich zu kleiden beginnenden Äste der Bäume geschimmert haben. Eine Träne hat er sich geleistet, und in der brach sich das Licht mit dem Spektrum eines Regenbogens, und es war dem dort auf der Bank Sitzenden, als würden all diese Farben in sein Inneres dringen. In seinen Kopf, in sein Blut, in die Zellen. Und Informationen weiterleiten, die irgendjemand ausgesendet hat. Um ihm, Dieter Grüngarten, einen neuen Weg aufzuzeigen. „Geht das denn so einfach, dass Du da kündigst? Ich meine…“ Dieter gibt der Bedienung ein Zeichen, dass er gerne noch etwas bestellen möchte. „Wer will noch was trinken?“ Marjana lehnt erst ab, entscheidet sich dann aber noch, genau wie Elena, für einen Espresso. Die Kinder möchten Cola, für sich ordert Dieter noch ein Glas Rotwein.
„Alles überhaupt kein Problem. Da gibt es bereits jemanden, der scharrt schon mit den Hufen, meinen Posten zu übernehmen…“

Es ist beinahe angenehm in dem Zelt. Im Gegensatz zu draußen, wo die Sonne ihre glühend heißen Strahlen herabschickt. Draußen, das ist irgendwo in einem Teil der Welt, wo seit Jahrhunderten Menschen den Krieg um die Vorherrschaft eines Gottes miterleben. Ein Land, geprägt von karger Landschaft und dem Wissen seiner Bewohnerinnen und Bewohner, dass ihre Vorfahren einst zu den Hochkulturen der Menschheit gezählt haben.
Seit gut einer halben Stunde wartet der Mann dort, sitzend auf einem Pouf, auf dem seine Eskorte in gebrochenem englisch ihn angewiesen hat, sich niederzulassen. Sein Hemd klebt ihm am Körper, in den Schuhen hat sich Sand angesammelt. Wüstensand. Der Mann muss an den Saharastaub denken, der an manchen Jahren herübergeweht kommt und sich auf den Autos ablagert.
Der Vorhang am Eingang wird beiseite geschoben. Ein Mann kommt herein, bekleidet mit einer Kapuzenjacke und Militärhosen, auf dem Kopf trägt er ein olivgrünes Käppi mit einem roten fünfzackigen Stern. Ein Gewehr hängt ihm über der rechten Schulter. Grußlos tritt er an den auf dem Pouf Sitzenden heran, nimmt die Waffe ab, streckt sie ihm mit beiden Händen haltend entgegen. „Kennst Du diese Waffe?“ Die Frage wird ihm in seiner Sprache gestellt. Der Gefragte nickt, antwortet „ja, ich weiß, was für ein Modell das ist.“ Sein Mund ist trocken. Wird nicht bei Begrüßungszeremonien Tee gereicht? Und während man beisammensitzt, eine Shisha geraucht? Auf ein Treffen dieser Art hat ihn sein Vorgänger nicht vorbereitet. Zu Arbeitsessen haben sie sich getroffen, bei denen er eingeweiht worden ist über Quellen, die Lieferwege, die Finanztransfers. Vor allem ist es wichtig, so wurde ihm erklärt, dass die Lieferfristen eingehalten würden. Und dass die richtige Ware geliefert würde, in den bestellten Mengen an den richtigen Ort. Hörte sich alles ganz simpel an.
„Weißt Du auch, woher sie ist?“ Kopfschütteln. „Meine Kämpfer haben sie einem unserer Feinde abgenommen. Beim Verhör sagte er, sie haben die Waffen von dem Land, aus dem Du kommst.“ Trotz der Wärme in dem Zelt läuft dem Mann ein kalter Schauer über den Rücken. Das Treffen verläuft gerade nicht so, wie er es sich vorgestellt hat. „Ich versichere Ihnen, dass…“ „Kennst Du ‚Angel Heart‘?“ „Was?“ „Den Film mit Robert de Niro.“ Nein, den kennt er nicht. Dafür ist er vielleicht zu jung. Auch interessiert er sich nicht sonderlich für Filme.
Ein zweiter Mann betritt das Zelt, ähnlich gekleidet wie der Erste. Um Kopf und Hals geschlungen hat er eine Kufiya, besser bekannt als Palästinensertuch. Auch ist ein Großteil seines Gesichts damit verhüllt. Er trägt einen in einer ledernen Scheide steckenden Säbel an der Seite hängend bei sich. „Hören Sie, bitte, ich…“ Ungerührt fährt der erste Mann fort. „In dem Film sagt Robert de Niro folgendes: es gibt genug Glaube in der Welt, dass sich die Menschen einander hassen. Aber nicht genug, dass sie sich einander lieben.“ Bevor der Firmenangestellte reagieren kann, tritt der Mann mit der Kufiya neben ihn und führt mit dem Säbel einen gezielten Hieb aus, mit dem er den Kopf fast vom Rumpf trennt. Der Tote fällt neben dem Pouf zu Boden, wo das Blut im Wüstensand versickert.
So wird das Schlachten weitergeführt werden.

Christian C.Kruse