He`s got a Movement in his Cellar, he`s a Danger to the State. Watch out for the normal People
(Robert Geldof/the Boomtown Rats)
Khalil hat das Zündrad eines Einwegfeuerzeugs betätigt. Im Licht der aufleuchtenden Flamme sieht er die Gesichter von Georgina und George, die ihm gegenüberstehen. „Wir haben Licht vergessen.“ „Ja, und besonders groß ist der Raum auch nicht geworden.“ „Und wir bräuchten vielleicht auch etwas zum Sitzen…“ „Gut, dann weiter.“ George öffnet die Tür, und sie gelangen in einen anderen Raum. Als Georgina auf den Lichtschalter drückt, wird der Kellerraum von einer plastikverkleideten Neonröhre erhellt. Die Steinmauern sind weiß gekalkt, in der Mitte des Raumes stehen Stühle, verschiedenfarbig gestrichene Holzkisten und ein niedriger gelber Tisch. „Und was soll das da?“ fragt Georgina und deutet auf einen rostroten Boiler. „Die Heizung“, antwortet Khalil, was die Frau hell auflachen lässt. „Das ist eine Gastherme! Du bist mir vielleicht ein Träumer. Ohne Heizkörper bringt die uns nichts.“ „Wir üben ja noch. Sitzgelegenheiten sind ja wenigstens da. Und ein Tisch…“ George stellt darauf den Gedankenspeicherapparat ab und setzt sich auf eine der Holzkisten. „Mist, ich hätte ja auch an was zu essen denken können“, entfährt es Khalil. „Und an ein Weinregal“, fällt George jetzt noch ein. Georgina schüttelt darüber den Kopf und nimmt auf einem der Stühle platz, holt erstmal einen Tabakbeutel aus ihrer Wildlederjacke. Khalil staunt. „Vorhin in der Küche hattest Du doch noch einen Poncho an…“ „Ja, ich hab noch schnell daran gedacht, mich umzuziehen. Könnt schon ein bisschen frisch hier werden, so ohne viel an.“ „Oh mensch!“ Khalil greift in die Taschen seines Bademantels, als könne er dort außer dem Feuerzeug noch etwas Brauchbares finden. „Naja, wir werden hier ja wohl nicht ewig bleiben.“ „Denk dran, dass wir hier ein anderes Zeitempfinden haben“, macht Georgina ihm zur Sicherheit noch einmal bewußt, was den Mann ins Grübeln bringt. „Was heißt, dass die Zeit hier schneller vergehen kann als in der Realwelt? Oder aber auch langsamer…“ „Wir empfinden das lediglich so“, erinnert Georgina Khalil erneut an ihre bisher gemachten Erkenntnisse. „Uns kann es so vorkommen, als würden Tage vergehen, obwohl wir tatsächlich vielleicht erst ein paar Minuten hier sind.“ „Und andersherum? Dass einige hier verbrachte Minuten in der Wirklichkeit ein oder mehrere Tage sind…“ Georgina beleckt die Klebeseite ihres Blättchens und rollt den Tabak ein. „Hast mal Feuer?“ Khalil reicht der Frau das Feuerzeug, und bekommt von ihr gesagt, dass sie so eine Erfahrung bisher noch nicht gemacht habe, worin Khalil ihr zustimmt. „Und bis dahin bleibt es eine Vermutung“, lässt George sich vernehmen. „Ein Gedankenkonstrukt“, bestätigt Khalil. „Eine Theorie“, benennt es Georgina und beginnt, vor sich hinzusummen. „Was ist das?“ wird sie von Khalil gefragt, doch sie kann sich nicht erinnern. „Irgendein Hit aus den 80ern…“ „Aber es spricht doch nichts dagegen, zwischendurch mal den Keller zu verlassen, oder?“ hakt Khalil noch einmal nach, doch George ist der Ansicht, dies möglichst zu unterlassen, da die Gefahr zu groß ist, von Denjenigen, die sie verfolgen, aufgespürt zu werden. „Das klingt gruselig, so wie Du das sagst.“ Georgina streift ihre Selbstgedrehte in einem Aschenglas ab, das sie auf einmal in der Hand hält. Khalil deutet darauf, sagt „an was Du alles gedacht hast“. Georgina schickt ihm ein zuckersüßes Lächeln und zwinkert lustig mit ihren Augen. „Willst Du Dich nicht setzen?“ Erst jetzt bemerkt Khalil, dass er immer noch dasteht wie bestellt und nicht abgeholt, lacht etwas verunsichert darüber und sucht sich nun ebenfalls einen Platz, wobei seine Wahl auf eine der Holzkisten fällt. Wieder lacht Georgina. „Ja, so gefällt mir das! Ihr sitzt niedriger als ich“, was Khalil zu der Aussage verleitet „wir sind Ihre Diener, Mylady“, und George wagt, noch einen Schritt weiterzugehen: „Wir waren unartige Buben, und Du musst uns jetzt den Hintern versohlen.“ Die Taubenfuß steigt in das Theater ein, singt „womit denn, o Georgie, o Georgie, womit?“ „Nimm die Hände, Georgina, Georgina, nimm die Händ`“ führt erst Rabenvater den Nonsens fort, dann Khalil: „Aber die Hände, die braucht sie, die braucht sie, die Hände, die braucht sie ja noch.“ So vertreiben die Drei sich die Zeit, welche, da ist es nun egal ob Traum oder nicht, sich in solcherart Situation zäh zieht. Es werden Gespräche geführt über die Arbeit – George kündigt an, dass er in der Fabrik zur nächsten Schicht aufhören wird – ein bisschen über ihre Vergangenheit, das, was sie noch nicht voneinander wissen, und es folgen Rätselfragen und Witze in Abwechslung. Und auf einmal befindet sich jemand Viertes in dem Raum. Die Drei werden ihn zeitgleich gewahr, und da stellt er sich auch schon vor: „Hi, ich bin Alexander Tagthetruth. Seid ihr die, die mit mir im Traum Kontakt aufgenommen haben?“ Die dort Sitzenden verneinen bedauernd. Nein, davon wissen sie jetzt nichts, aber das soll ja nichts heißen, höchstwahrscheinlich wird er ihre Energien wahrgenommen haben. Alexander nickt und berichtet von einem weiteren Traum, in dem er von noch Jemandem Gedankenströme empfangen habe. Er geht davon aus, dass es sich um einen Mann handelt. „Weißt Du, wo dieser Jemand sich aufhält?“ wird er von George gefragt. „Ich habe ihn in einem Behälter liegen gesehen“. Alexander muss bei dieser Vorstellung daran glucksend lachen. „Es sieht aus wie ein blinkendes Ei.“ „Der Samadhi-Tank“ ruft George da aus, und „was hat er zu Dir gesagt?“ „Er sagte… er müsse die Naguals finden.“ „Die Naguals? Was ist das?“ fragt Khalil George und Georgina, als wäre der neu Hinzugekommene gar nicht anwesend, und Georgina weiß „das sind Schutzgeister. Es gibt sie in unterschiedlichster Form in vielen alten Glaubensrichtungen.“ „Ja. Und der Typ in dem Tank sucht nach euch.“ „Muss ne Verwechslung sein“, behauptet Khalil, „wir kennen keinen Typen, der in nem Ei wohnt.“ „Aber er kann uns behilflich sein für die Konstruktion des Samadhi-Tanks“, gibt da George zu bedenken, und Georgina stimmt ihm zu. „Ja genau, für die Waldhütte.“ „Also gut.“ Khalil wendet sich dem Jungen zu. „Wie erreichen wir ihn?“ Alexander zuckt mit den Schultern. „Er sagte, über einen… Traumaufzeichner?“ „Ja, da wird der Hund aber in der Pfanne verrückt“, entfährt es da George. „Woher weiß der denn von dem Apparat?“ Die Frage ist an niemand Spezielles gerichtet, und so fühlt sich auch niemand bemüßigt, ihm eine Antwort darauf zu geben, wobei anzunehmen ist, dass keiner der der Drei eine Erklärung parat gehabt hätte, lediglich Mutmaßungen, aber die helfen bekanntermaßen bei der Wirklichkeitsfindung auch nicht groß weiter. „Hat er sonst noch irgend etwas gesagt?“ will Khalil von dem Burschen weiter wissen, erntet jedoch nur Kopfschütteln. „War da nicht mehr oder weißt Du es nicht mehr?“ „Ach mensch, Khalil“, bremst Georgina den Mann, „das führt doch jetzt auch zu nichts.“ Nun summelt auch George vor sich hin und überlegt, laut, für sich: „Wie, hat er sich gedacht, was hat er sich gedacht“, und dann fällt ihm eine Lösung ein, aber „ich habe kein Werkzeug, um den Kasten zu öffnen.“ „Was brauchen Sie denn?“ „Im Grunde lediglich zwei Schraubendreher: einen Kreuz und einen Schlitz.“ Alexander Tagthetruth kramt in einer Seitentasche seiner Messenger-Bag, holt das Gewünschte hervor. „Hier, geht das?“ „Perfecto.“ George beginnt, an dem Apparat herumzuschrauben, summt nun das Thema von Georgina weiter, und da fällt es ihr ein: „I still haven`t found, what I`m looking for!“ und da fängt George gleich an zu interpretieren: „I have climbed highest Mountains, I`ve run through the Fields…“ „…only to be with you, only to be with you“, übernimmt Khalil den Part, und dann, alle drei, konzertiert: „but I stiiiill haven`t found what I`m looking for“, und Alexander denkt ‚bei was für Verrückten bin ich hier eigentlich gelandet?‘ Mittlerweile hat George das Kästchen geöffnet, entnimmt ihm die Spule und überreicht sie Alexander. „Darauf sind unsere bisherigen Träume aufgezeichnet. Überbringe sie dem Mann und bitte ihn, uns darauf eine Botschaft zu hinterlassen, und komme dann zu uns zurück.“ Tagthetruth nimmt die Spule entgegen und bestätigt durch ein Nicken, dass er der Aufforderung nachkommen wird. „Aber währenddessen können wir unsere Träume und Gedanken nicht speichern“, gibt Khalil zu bedenken, woraufhin George entgegnet, dass momentan sowieso nichts Weiterführendes passieren wird, und dass der junge Mann, Alexander, ja in wenigen Augenblicken wieder hier sein wird, womit, soviel sei hier verraten, der Rabenvater sich etwas verkalkuliert hat.
Auf dem Nachhauseweg geht Rafael Kellner der Mann mit dem Jesuskreuz nicht aus dem Kopf. Was war der Grund für seinen plötzlichen Aufbruch gewesen, fragt er sich. Und warum hat er die Große Kraft erwähnt? Rafael ist so in Gedanken versunken, dass er beinahe bei rot über eine Straße gegangen wäre. Verflixt noch eins. Er sollte am besten diesen ganzen Kram vergessen. Was maß er diesen Träumen überhaupt so eine Bedeutung bei? Zuhause rührt Rafael sich einen Instantkaffee an, schaltet den Fernseher ein und guckt zwei Folgen Simpsons. In der Nacht schläft er traumlos. Am Morgen frühstückt er, beschließt, nicht in die Bibliothek zu gehen und keine weiteren Nachforschungen hinsichtlich irgendwelcher Traumbotschaften anzustellen. Stattdessen sucht er das Hallenbad auf, schwimmt seine Bahnen, duscht, gönnt sich anschließend bei McDonalds einen Cheeseburger, trinkt dazu eine Cola. Währenddessen überlegt er, wie er den weiteren Tag verbringen könne, zieht in Erwägung, nochmal bei den Basketballjungs vorbeizuschauen, verwirft den Gedanken jedoch wieder. Vielleicht doch mal beim Arbeitsamt reingucken und spicken, ob irgendetwas brauchbares dort ausgehängt… Spinnst Du?! Ruft ihn da sein Gewissen zur Ordnung. Als wüsstest Du nichts mehr mit Deinem Leben anzufangen! So streift er weiter durch die Stadt, fährt ein paar Stationen mit einer U-Bahn, steigt irgendwo aus, latscht dort herum, guckt in Schaufenster, holt sich beim Bäcker zwei Brötchen und füttert damit Enten an einem See im Park. An einer Litfaßsäule sieht der Mann ein Plakat hängen, das Werbung macht für eine Literaturveranstaltung. Dort geht er am Abend hin, schaut sich die auftretenden Künstler an – lediglich eine Frau ist unter den zehn Lesenden dabei – trinkt zwei Bier und lauscht gebannt einer Geschichte, in der ein Typ durch die Geheimpolizei beschattet wird, weil er verbotenes Schriftmaterial unter die Leute gebracht hat. Der Typ flieht aus dem Land, erreicht sein Ziel, wo er bei einer Bergwanderung auf einen Mann trifft, der sich ihm als Hassan i Sabah vorstellt. Dieser erzählt ihm über seinen Glauben, in dem Gott eine verborgene Kraft darstellt, zu der die Gläubigen durch Meditation in Verbindung treten können. Am Ende dieser Begegnung, liest der Mann weiter, „ist es Nacht geworden, und am Himmel konnte ich die Plejaden sehen.“ Später will Rafael ein Gespräch mit dem Mann suchen, ihm sagen, dass eine Verbindung zu der Gotteskraft seines Erachtens über Träume möglich sei. Als er jedoch sieht, dass bereits ein Mann und eine Frau bei dem Mann stehen und sich angeregt mit ihm unterhalten (scheinbar kennen sie sich), überlegt er es sich anders und verlässt den Club. Es vergehen einige Wochen. Rafael hat sich drei Schallplatten zugelegt: Guadalcanal diary ‚2×4‘, U2 ‚the Joshua Tree‘ und ‚Tubular Bells‘ von Mike Oldfield. Am Abend macht er sich ein Bier auf, stellt eine Schüssel Erdnussflips bereit, und legt eine der Scheiben auf den Plattenteller, startet mit dem Bewegen des Tonarms den Apparat, setzt die Nadel auf den Anfang der Rille. Das erste Lied spielt, und danach, die Mitsinghymne: ‚I had spoke with the Tongue of Angels/I had held the Hand of the Devil/ it was warm in the Night/I was cold as a Stone…“ Rafael nimmt eine Handvoll von den Flips, dazu einen ordentlichen Schluck aus der Pulle, schließt die Augen, und sieht sich gleich darauf in dem Kellerraum, zusammen mit dem Geschichtenerzähler und dessen befreundetem Pärchen. „Also, dass geht hier ja zu wie bei der Flugabfertigung“ bemerkt Khalil, und George fragt „sind Sie der Mann mit dem Samadhi-Tank?“, was von dem neu Hinzugekommenen mit einem Kopfschütteln verneint wird. „Wo…wo bin ich hier…und was machen Sie hier?“ „Zuvor würden wir gerne erfahren, wie Sie hierher gekommen sind“, stellt George klar, was von Rafael nicht zufriedenstellend beantwortet werden kann. „Eben war ich noch…zuhause und habe Musik gehört, und jetzt… was ist das hier?“ „Ein Keller“, antwortet ihm Khalil, aber dies hätte sich Rafael auch noch selber zusammenreimen können. „Wir werden Sie gleich aufklären“, hört er den einen Mann sagen, der, ebenso wie die Frau, Straßenkleidung trägt. Der Andere ist in einen Bademantel gehüllt und trägt Schlappen an den Füßen, was die Situation noch eine Spur befremdlicher erscheinen lässt. „Eine Frage habe ich noch: welche Musik haben Sie gehört?“ „Was?“ Rafael weiß beim besten Willen nicht, was diese Frage zu bedeuten hat, denkt aber nach, braucht tatsächlich eine Weile, bis es ihm einfällt. „U2. Eine Platte von U2 hatte ich mir aufgelegt.“ „Warten Sie, lassen Sie mich raten. Still haven`t found what I`m looking for?“ Und als Rafael etwas perplex mit ‚ja‘ antwortet, ist die Reaktion darauf sehr gemischt. Während der Mann, der das Lied genannt hat, sich über die richtige Antwort freut, ebenso wie die Frau, scheint der Typ im Bademantel über die Auflösung nicht sehr erbaut. „Das bedeutet ja, dass unsere Gedanken nach außen dringen, was aber eigentlich nicht der Sinn dieser Übung hier ist, oder?“ „Ich denke, es zeigt, dass unser neuer Freund hier unsere Energiewellen trotz der Vorsichtsmaßnahmen empfangen konnte – der Mittler gewissermaßen war in diesem Fall ein Lied – was nur bedeuten kann…“ Und damit geht George auf Rafael zu, streckt ihm die Hand entgegen, „…dass er die gleichen Fähigkeiten besitzt wie wir. Hübsch, Dich zu sehen!“ Zaghaft wird die Hand von Rafael ergriffen. „Wie? Ich verstehe immer noch nicht…“ George Rabenvater erklärt die Zusammenhänge, stellt sich und die anderen beiden vor. Als Rafael von seinen Träumen erzählt, zeigen die Drei sich positiv überrascht. Offen aber bleibt die Frage, wer der Mann ist, von dem der Ratschlag kommt, Kontakt zu Gleichgesinnten aufzunehmen. „Diese Frage wird uns hoffentlich dieser Alex beantworten“, meint Khalil. „Sofern er denn wiederkommt.“ „Bleiben Sie doch ein bisschen bei uns“, wird Rafael von George eingeladen, „oder haben Sie bei sich zuhause irgendetwas auf dem Herd stehen, das anbrennen könnte?“ Rafael muss wieder einen Moment darüber nachdenken, kann dann verneinen. „Und was hat das mit dem ‚Hübsch-Dich-zu-sehen‘ auf sich?“ „Oh, wir geben unseren Traumkörpern Namen. Der ist mir eben ganz spontan eingefallen, vielleicht, weil Sie Ähnlichkeit haben mit einem…“ George kommt jetzt nicht drauf, und Hübsch-Dich-zu-sehen wendet sich an Khalil. „Und Sie sind im Traum diesem Hassan i Sabah begegnet?“ „Es ist die Geschichte von Jemandem, der hier einmal gewohnt hat, also hier in der Gegend.“ „Und Sie haben diesen Menschen gekannt?“ Darauf gibt Khalil ihm keine Antwort. „Also eigentlich duzen wir uns hier“, bemerkt Georgina, worauf Hübsch-Dich-zu-sehen ihr die Hand reicht. „Gerne, ja. Ich bin Rafael, von jetzt an Hübsch-Dich-zu-sehen.“ Ihm gefällt der Name, und auch die momentane Situation, immer besser. Als Alexander Tagthetruth wieder bei ihnen erscheint, wird er von Khalil als erstes nach der Zeit „da draußen“ gefragt. Dazu könne er nichts sagen, antwortet ihm Alex, da er lediglich die Traumebenen gewechselt habe. George ist neugierig zu erfahren, was Alexander ihnen mitgebracht hat. „Eine Botschaft…“ Tagthetruth holt die Spule aus seiner Tasche, reicht sie dem Rabenvater. „…Von D.B.“ „So nennt sich der Herr?“ George baut die Spule wieder in das Kästchen ein. „Wer möchte?“ Da sich niemand meldet, befestigt er die Drähte bei sich an der Kopfhaut, betätigt den Hebel, schließt seine Augen. Georgina bedeutet Alexander und Hübsch-Dich-zu-sehen, währenddessen still zu sein. Khalil weiß dies bereits, und verhält sich ebenso. Schon kurze Zeit später öffnet George die Augen wieder, nimmt die Drähte ab und stellt den Apparat aus. „Wir sollen einen Samadhi-Tank erschaffen. Damit, so sagt D.B., können wir in eine andere Traumebene gelangen und dort eine Frau namens Susha treffen, die wiederum mit ihm in Verbindung steht.“ „Gut. Ja, dann… stellt sich mir die Frage, warum Alex mit diesem D.B. kommunizieren kann“, sinniert Georgina. Dieser zuckt mit den Schultern, als alle ihn erwartungsvoll anschauen. „Keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Vielleicht bin ich ein Freier Radikaler?“ Darüber zeigt sich George amüsiert. „Wie auch immer. Dank D.B. haben wir die Informationen über den Floatingtank. Bleiben wir bei der Variation mit der Waldhütte?“ Einstimmiges Nicken. „Na, dann los!“ „Denk an den Gesa“, wird George wieder von Khalil erinnert. „Wo ist Alexander geblieben?“ Georgina öffnet die Tür, schaut hinaus. „Hier ist er auch nirgends.“ „Ob wir ihm trauen können?“ fragt Khalil. „Ich denke schon. Er macht einen vertrauenswürdigen Eindruck.“ George hat den Gesa mit dem Tank verbunden, öffnet den Deckel des Floatingtanks, hält seine Hand in die darin befindliche Flüssigkeit, nickt anerkennend. „Hat sogar die richtige Temperatur. Wie sieht`s aus? Ladys first?“ Ohne Umschweife beginnt Georgina sich zu entkleiden, legt sich in das Salzwasser, bis nur noch ihr Gesicht herausschaut. „Fertig?“ „Roger.“ George schließt den Tank, dreht die Sanduhr um, die auf einem dreibeinigen Tischchen steht. „Wer möchte noch ein Bier?“ Khalil geht zu dem Kühlschrank. Zwischenzeitlich hat auch er sich umgezogen, trägt nun Jeans und einen Kapuzenpullover. „Oh gerne, wenn da ist, aus Flaschen.“ „Halt, warte“, ruft da George, „bevor Du den Kühlschrank aufmachst: mir steht der Sinn nach einem Glas Rotwein.“ Khalil deutet zu einer zweiten Tür gegenüber dem Eingang. „Da befindet sich die Speisekammer. Rotwein aus dem Kühlschrank ist wohl nicht so der Bringer…“ Rabenvater klatscht begeistert in die Hände. „An alles gedacht, diesmal!“ „Bevorzugst Du eine bestimmte Marke?“ „Was? Nein. Wieso?“ „Na, noch habe ich den Kühlschrank nicht auf.“ Hübsch-Dich-zu-sehen braucht eine Weile, dann macht es bei ihm klick. „Achso ja, die Imagination. Dann hätte ich gerne ein Sternburger.“ „Kommt sofort.“ Währenddessen überlegt George sich den Inhalt der Speisekammer, wendet sich an Khalil und Hübsch-Dich-zu-sehen. „Irgendwelche Wünsche?“ Khalil reicht die Halbliterflasche weiter, hat für sich wie gewohnt eine Dose herausgeholt. „Denk an ein Glas – oder besser an zwei, falls Georgina auch eins will.“ „Ne Tüte Chips wär toll“, fällt Hübsch-Dich-zu-sehen ein, und schon macht George die Tür auf, schaut zufrieden, nimmt eine Flasche vom Regal, sowie zwei Gläser und die gewünschte Chipstüte, und als er die Speisekammer wieder geschlossen hat, fällt ihm ein „Mist! Kein Korkenzieher!“ Da holt Hübsch-Dich-zu-sehen ein Taschenmesser aus seiner Hosentasche, reicht es George. „Hier. Ist ein Korkenzieher dran.“ O mensch, toll! Wir sind schon ein gutes Team, was?“ Während die Drei trinken und ab und an in die Chipstüte greifen, verrinnt der Sand in dem Stundenglas. Khalil macht George darauf aufmerksam, der erhebt sich von der Sitzbank, klopft gegen den Tank, und nach einem kurzen Moment des Wartens wird das Klopfen erwidert. So macht er den Behälter auf, Georgina entsteigt ihm wie Venus aus der Muschel oder Susanna ihrem Bade, fragt nach Handtüchern. „Vergessen.“ „Gut, dann… laufe ich draußen herum, bis ich wieder trocken bin. Bis gleich…“ Alexander Tagthetruth sitzt auf der Rasenfläche des Stadtparks. Er ist allein. Es ist später Abend oder vielleicht ist bereits die Nacht hereingebrochen. Die Sterne funkeln, und auch der Mond ist zu sehen. Es ist ein heißer Sommertag gewesen. Nun hat die Luft sich abgekühlt, und es weht ein leichter Wind, der das Laub der Bäume bewegt. Fledermäuse schwirren umher und sind auf der Jagd nach Insekten. Zusammengekauert sitzt Alexander da, die Arme hat er um seine bis an die Brust herangezogenen Beine geschlungen. Trotz der lauen Abendtemperatur durchläuft ein Zittern seinen Körper. Er hat Angst. Er weiß nicht, was es ist, aber er spürt die negativen Kräfte, die im Verborgenen lauern, seinen Atem schwer gehen lassen. Da sieht er etwas, das sich ihm nähert. Aus der Dunkelheit. Es ist eine Gestalt, die auf ihn zukommt. Schweiß bricht ihm aus. Alexander will aufstehen und abhauen. „Alex? Bist Du das?“ Er meint, die Stimme zu erkennen, verharrt, und dann steht da der Treckernomade vor ihm. „Mikesch!“ „Alexander! Was um alles in der Welt machst Du hier alleine? Wir haben uns gefragt, wo Du geblieben bist.“ Alex weiht den Compańero in seine letzten Erlebnisse ein. „Das ist ja völlig abgefahren! Ich schlage vor, wir schauen bei dem Geschichtenschreiber vorbei, und Du erzählst ihm…“ Dies wehrt Alexander entschieden ab. Dadurch, so begründet er seine Entscheidung, bestünde die Gefahr, dass sie seinen Aufenthaltsort herausbekommen würden. „Aber wer um alles in der Welt sind ‚sie‘?“ Das weiß Alexander nicht zu sagen. Aber er ist sich sicher, dass sie ihm und den anderen Träumenden auf der Spur sind. „Paranoia?“ versucht Mikesch einen Scherz, worauf Alexander erwidert „auch wenn Du nicht paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter Dir her sind“, worüber der Treckernomade kurz nachdenken muss, und dann fällt ihm etwas ein. „Ich weiß, wo wir jetzt hinfahren…“ „Also dann, George: viel Spaß! Und denk dran, dort ist es das Ponee, mit dem Du zusammentreffen wirst.“ Georgina hat nicht verraten wollen, welch ein Szenario sie sich ausgedacht hat, in dem George und sie der Frau mit dem Namen Susha begegnen werden, dies mit der Begründung, Khalil und auch Hübsch-Dich-zu-sehen damit nicht im Erbauen ihrer Traumwelten zu beeinflussen. „Dann können wir also hinreisen, wohin wir wollen?“ Dies bestätigt Georgina, was Hübsch-Dich-zu-sehen „da wüsste ich schon was“ entlockt. Auf die Frage Khalils, was ihm denn so vorschwebe, erwidert er „das verrate ich nicht“, was Georgina, mittlerweile bekleidet und Rotwein trinkend, beifällig lachen und Khalil etwas beleidigt dreinschauen lässt. George weist noch darauf hin, an die Sanduhr zu denken, und dann hat Georgina den Deckel zugemacht.
Es ist eine kleine Wiese, die hinter einem Gasthof mit Hotelbetrieb liegt. ‚Zum Dorfkrug‘ ist auf einem Holzschild zu lesen. Auf der Wiese ist eine Bühne aufgebaut, sowie eine Handvoll Stände, an denen Essen und Getränke feilgeboten werden. Auf einer Hüpfburg toben mehrere Kinder herum. Zur Zeit spielt Musik aus der Konserve; Bob Marley singt „and then Georgie would make a Firelight, as it was Love would burn in through the Night“, und dann erblickt George auch schon Georgina. Auch das Ponee hat den Rabenvater entdeckt, winkt ihm fröhlich lachend zu. Sie trägt ein langes, blau gefärbtes schulterfreies Kleid und einen Strohhut mit einer Sonnenblume dekoriert. George meint, von irgendwoher den charakteristischen Geruch von Marihuana zu vernehmen. „Ich grüße Dich…Georgina.“ Sie hält dem Mann ihre eben noch winkende Hand hin, die er ergreift, dabei einen Handkuss andeutend. George lässt sich neben der Frau nieder. „Wie schön! Die Fußnägel passend zum Kleid lackiert…“ Georgina nimmt einen Schluck von ihrem Bier, fragt, ob er auch etwas trinken möchte, was er ablehnt. „Im Augenblick nicht. Gerade eben habe ich Rotwein getrunken.“ „Aber fahren musst Du heute nicht mehr?“ „Was? Nein.“ „Ich bin mit dem Auto hier“, bekommt er da von Georgina zu hören, „aber ein oder zwei Bier werde ich wohl trinken dürfen. Wir sind ja bestimmt etwas länger hier.“ George zeigt sich überrascht. „Mit dem Auto, tatsächlich?“ „Klar, ja. Funktioniert ja auch. Ab und an kurve ich ganz gerne mal durch die Gegend.“ George lässt den Blick wandern, erblickt einen Cocktailstand, sagt, dass er jetzt doch auf einen Margarita Lust hätte. „Na, dann nichts wie hin.“ Etwas verlegen gesteht George der Frau, dass er kein Geld mit sich führt, was sie hell auflachen und gleich darauf in einer mitgeführten Handtasche kramen lässt. „Hier.“ Sie hält ihm ein perlenbesticktes Portemonnaie entgegen. „Aber nicht alles auf einmal ausgeben!“ George bestellt sich das gewünschte Getränk, kehrt zu Georgina zurück, gibt ihr die Geldbörse wieder. „Ich revanchiere mich irgendwann.“ „Prost.“ Sie stoßen an, Flasche gegen Glas, trinken. „Wie erkennen wir diese Susha überhaupt?“ will George unvermittelt wissen. „Wir wissen doch gar nicht, wie sie aussieht.“ „Ich denke, sie wird Kontakt zu uns aufnehmen.“ Die Bühne haben vier Musiker betreten und beginnen zu spielen, während vor der Bühne Menschen anfangen zu tanzen. „Guck mal, das könnte sie doch sein!“ George deutet mit seinem Kinn auf eine schwarzhäutige Frau mit Dreadlocks, die in sich selbst versunken nach den Klängen der Reggaeband tanzt. „Na, dann los, sprich sie an!“ In dem Moment wird Georgina von hinten umarmt, dreht sich zeitgleich mit George um und beide sehen eine hinter ihnen knieende Frau, mit einer orangerot gefärbten Igelfrisur und mit Kajal überbetont geschminkten Augen. „Georgina Taubenfuß und George… Rabenvater?“ „George Rabenvater stimmt. Ich bin Georgina Ponee.“ Über diese Klarstellung zeigt die Frau sich überrascht. „Dann gibt es zwei Traumkörper von Dir?“ „So sieht das wohl aus, ja.“ „Wow! Ach, ich hab mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Susha von den drei Ebenen.“ George ergreift die hingehaltene Faust, was Susha witzig findet. Georgina dagegen kennt es und tackert ihre dagegen. „Oh, mein Lieblingsstück! Ich bin gleich wieder bei euch…“ Während Susha tanzen geht, wendet sich George an das Ponee. „Apropos: wie war das mit Khalil?“ „Ziemlich gut, ja.“ „Nein, ich meine, Du… das war dann ja auch ein zweiter Traumkörper.“ Georgina bewegt ihren Kopf hin und her. „Nein. Was da passiert ist, war eine Anomalie.“ „Eine was?“ „Herrgott, ich weiß es nicht! Bin ich Physikerin, oder was? Eigentlich hätte dies gar nicht passieren dürfen…“ „Hey, wie sieht´s aus? Habt ihr noch zu trinken?“ Georgina hebt ihre angetrunkene Bierflasche hoch, George sein Glas ist leer. „Ich glaub, so einen hol ich mir auch.“ George bedankt sich, sieht dabei zu, wie jetzt ein Mann mit der Dreadlockfrau tanzt. „Wer sind eigentlich all diese Leute?“ „Andere Träumende. Nur wissen sie nicht, dass sie sich in einem Traum befinden. Nehme ich mal an. Auch werden sich viele nicht mehr an diesen Traum erinnern.“ George fängt auf einmal an zu gniggern. „Was ist?“ „Seit wann rufst Du denn den Herrgott an? Machst Du sowas öfters?“ Georgina verdreht die Augen, sagt, dass es nur eine Redensart ist, so wie man ‚oh mein Gott‘ sagt oder sowas. „Damit fängt es meist an“, stichelt George hinterher. Ehe die beiden anfangen, sich deswegen in die Haare zu kriegen, kommt Susha mit den Cocktails, fragt „und alles gut bei euch?“ „Nein“, kommt als Antwort von dem Ponee. „Wir sollten jetzt zu den Dingen kommen, die es zu besprechen gibt.“ „Klar. Gerne.“ „Cat Woman!“ platzt es da aus George heraus, „aus ‚the great Rock`n Roll Swindle!‘“ „Bitte?“ „Daran erinnern Sie mich. An eine Darstellerin aus dem Film mit den Sex Pistols.“ Nein, den kenne sie jetzt nicht, sagt Susha. Sie habe sich so frisiert und geschminkt, weil sie David Bowie-Fan sei. „Die Ziggy Stardust-Phase… kennen Sie?“ „Aber ja, natürlich“, bestätigt George mit einem Seitenblick auf Georgina, die aussieht, als würde sie gleich platzen. „Allright, kommen wir zum Wesentlichen…“ Susha setzt sich zu ihnen, nippt an ihrem Cocktail. „Vor ein paar Tagen hat Diego von euch Energiewellen in seinem Tank gespürt, und da…“ „Diego?“ „Oh. Diego. D.B. Der Mann in dem Samadhi-Tank. Und nun will er euch gerne treffen.“ „Und warum… nimmt er nicht selbst Kontakt zu uns auf?“ „Das würde er gerne. Aber er besitzt keinen Traumkörper.“ „Dann kann er sich auch nicht in ein Krafttier verwandeln?“ „Nein.“ „Und über welche Fähigkeiten verfügt er?“ möchte Georgina von Susha wissen. „Er ist ein ausgezeichneter Liebhaber.“ „Hey, das ist ja schon mal viel wert!“ „Ja, das finde ich auch.“ George möchte wissen, weshalb es Alex möglich gewesen ist, Kontakt mit D.B. aufzunehmen. „Dies ist ja in einem Traum geschehen.“ Sushas Antwort, einen Alex kenne sie nicht, verunsichert die Beiden etwas. Daraufhin erklären sie Susha, dass durch Alexander der erste Kontakt zu D.B. mittels der Spule ihres Gesa hergestellt werden konnte. Durch Diegos Informationen ist es ihnen ermöglicht worden, einen Samadhi-Tank zu erschaffen, mit dem sie auf diese Traumebene wechseln konnten. „Ah, verstehe. Cool.“ „Kannst Du uns sagen, was… D.B. von uns möchte?“ stellt Georgina die nächste Frage. Susha sammelt ihre Gedanken, nimmt vorher noch einen Schluck aus ihrem Glas. „Es ist so: Diego ist der festen Überzeugung, dass die Menschheit dabei ist, den Planeten zu zerstören, und damit den Lebensraum für viele Lebewesen… Pflanzen, Tiere, und letztlich auch für sich selbst.“ Georgina und George stimmen dem zu, sagen, dass dies seit Jahrzehnten bekannt ist, es aber nicht zu einer wesentlichen Änderung geführt habe. „Richtig. Es gab immer wieder Phasen, in denen die Kräfte aus dem Gleichgewicht geraten sind. Und immer hat der Planet Erde es aus eigener Kraft geschafft, dies zu regulieren…“ Susha hält kurz inne, holt Atem, ringt um Worte. „Aber jetzt… besitzt Gaia nicht mehr genug Kräfte, um sich und die für die Existenz notwendige Energie am Leben zu erhalten…“ „Und was muss Ihrer Ansicht nach geschehen?“ will Rabenvater von der Frau wissen. „Habt ihr schon einmal von dem Moment der Stille gehört?“ Dies verneinen beide. „Wenn die Erkenntnisse der Wissenschaft mit den alten Überlieferungen übereinstimmen, muss das Kraftfeld der Erde neu justiert werden, um die Möglichkeit zu schaffen, die Energien wieder in Einklang zu bringen. Und dies kann nur gelingen, indem für eine kurze Zeit die Welt angehalten wird.“ „Was ist darunter zu verstehen?“ fragt Georgina nach, und Susha erklärt, dass nach dem jetzigen Stand der Dinge für einen gewissen Zeitraum – wie lange, geht aus den Berechnungen nicht genau hervor – sämtliche Aktivitäten, die in Verbindung mit Energieaufwendung stehen, unterbrochen werden müssen. „Weltweit?“ Susha überlegt, dann “ich denke schon, ja.“ „Welche Aktivitäten sind damit gemeint?“ fragt George nun nach. „Im Grunde alles, was mit Kommunikation und Bewegung zu tun hat.“ Georgina und George lenken zeitgleich ihre Blicke Richtung Bühne. „Ja“, interpretiert Susha ihre Gedanken, „Musik ist letztlich auch eine Art der Kommunikation.“ „Und wie soll das bitte bewerkstelligt werden?“ hakt Georgina hinterher. „Im Grunde ganz einfach: mittels des Einsatzes von Gedankenkraft.“ Georgina und George schauen etwas ratlos drein, das Ponee bewegt zweifelnd ihren Kopf, fragt, ob so etwas bereits durchgeführt worden ist, und bekommt von Susha zu hören, dass so ein Sachverhalt ihr jetzt nicht bekannt sei.. „Ich höre es klopfen! Es ist Zeit, dass ich zurück muss.“ George steht auf, lässt seinen Blick schweifen, erblickt etwas für seine Zwecke Geeignetes, verabschiedet sich mit den Worten „ich denke, wir werden noch weitere Gespräche führen müssen“, und strebt dem am Rande der Wiese aufgestellten Dixi-Klo entgegen.
Alexander steht vor dem Regal und liest die Titel der dort aneinandergereihten Taschenbücher. Der Treckernomade hat sich derweil auf das Sofa geflezt und krault eine schwarzweiss-gestreifte Katze. Faktor 4 hat Tee gekocht, stellt das Tablett mit der Kanne und den Bechern auf dem Tisch ab, schenkt sich und seinen Gästen ein. „Das ist alles Science-Fiction-Literatur?“ wird von Tagthetruth gefragt. „Überwiegend, ja. Auf der anderen Seite steht auch noch was anderes.“ Alex geht um das Regal herum, guckt interessiert dort weiter. „Was ist das für Tee?“ will Mikesch wissen und bekommt als Antwort „Earl Grey, der Lieblingstee von Captain Picard“, worüber er amüsiert den Kopf schüttelt. Er sei jetzt nicht so der Trekkie, lässt der Mann verlauten, er schaue lieber die Lindenstraße. „Oh, Werke von Carlos Castaneda“, ist die Stimme von Alexander hinter dem Bücherregal zu vernehmen. „Habe ich in den 80ern mal gelesen, konnte aber nicht viel damit anfangen“, lässt ihn Faktor 4 wissen. Auch er hat an dem Tisch platz genommen, fängt an, gemeinsam mit Mikesch Pistazien zu knacken. Alexander setzt sich dazu, trinkt von dem Tee und nimmt eine der Nüsse, wirft die Schalenhälften in einen dafür vorgesehenen Behälter. „Ich hatte gehofft, Du könntest uns in den Bereichen der – wie heißt das? Metaphysik? – ein wenig Nachhilfe erteilen…“ Die Katze ist von Mikeschs Schoß gesprungen, reibt sich nun schnurrend an einem von Alexanders Beinen. „…Auch weil Du bei den Gesprächen im Foyer ja einiges gewusst hast.“ Faktor 4 nimmt seine Brille ab, beginnt, die Gläser mit dem Zipfel seines Hemdes zu putzen. „Es ist richtig, dass ich mich für alte Religionen und Mythologien interessiere. Jedoch bin ich auf der anderen Seite Wissenschaftler, und damit bleibt alles, was den physikalischen Gesetzmäßigkeiten widerspricht, lediglich Gedankenkonstrukte.“ „In der Physik konnten immer wieder neue Theorien aufgestellt werden.“ Faktor 4 stimmt Alexander zu. „Aber Träume finden nun einmal lediglich im Kopf statt.“ „Ich wusste, dass ich mich in einem Traum befand. Und die Personen dort… erschienen mir alle real.“ „Beim luziden Träumen ist das wohl so, ja. Mir fehlt da leider die Erfahrung. Ich bin schon froh, wenn ich mich am nächsten Tag an meine Träume erinnern kann.“ „Aber was ist mit den Energiewellen“, schaltet sich Mikesch ein. „Wie ist das zu erklären?“ Wieder schüttelt Faktor 4 seinen Kopf. „Die elektromagnetischen Wellen aufgrund von Gehirnaktivität können durch direkt an der Kopfhaut angebrachte Sensoren als EEG aufgezeichnet werden.“ „In meinen Träumen gibt es einen Gedankenaufzeichner“, was den Wissenschaftler zum lachen bringt. „Ja, das ist Science Fiction! Ich will nicht ausschließen, dass dies in naher Zukunft einmal möglich sein wird.“ „Vielleicht finden Alexanders Träume ja in der Zukunft statt“, denkt der Treckernomade laut, worüber Faktor 4 erneut lachen muss. „Vielleicht ist er ja ein Zeitreisender.“ Alexander wird es nun zu bunt. Er bedankt sich für den Tee, sagt, dass ihn das Gespräch hier im Moment nicht weiterhilft, und will sich verabschieden. Auf die Frage von Mikesch, wo er denn jetzt hin will, antwortet Alex, dass er es noch nicht weiß. „Auf jeden Fall erstmal an die frische Luft.“ Doch so einfach will Faktor 4 den jungen Mann mit der Leopardenfellmütze nicht gehen lassen. „Hier, es ist das erste Buch von Farmers Flusswelt der Zeit. Darin wird erzählt, wie bekannte Persönlichkeiten aus verschiedenen Epochen in einer Art Jenseitswelt zusammentreffen.“ „Jenseitswelt“, murmelt Alexander, lehnt den Literaturtipp ab. „Ich denke nein. Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass sich das alles im Diesseits abspielt.“ „Ja, möglich wäre es“, lenkt Faktor 4 ein, jedoch davon überzeugt klingt er nicht. „Also, bis demnächst vielleicht einmal.“ Alex wirft einen Blick zu dem Treckernomaden. Der ist damit beschäftigt, einen Joint zu fabrizieren. Und somit ist Alexander aus der Tür. „Ach, der wird schon wiederkommen“, spricht Faktor 4, und es klingt tatsächlich ein bisschen tröstlich, aber der Treckernomade lässt sich nicht beruhigen: „Hoffentlich finden die ihn nicht! Ich glaube ihm. Wenn er sagt, dass sie hinter ihm her sind.“ „Wer soll denn hinter ihm her sein?“ fragt Faktor 4, auch darüber amüsiert, „vielleicht Interpol?“ „Ja, wer weiß. Die Polizei aus der Interzone.“ „Ja, die sind gruselig“, bestätigt Faktor 4 und schenkt Beiden noch etwas Tee nach.
Nachdem George sich angezogen hat beschließen sie, die Waldhütte zu verlassen und in den Keller zurückzukehren. Dort erstattet der Rabenvater Georgina Taubenfuß, Khalil und Hübsch-Dich-zu-sehen Bericht, schließt mit den Worten „ich meine, dass ist eine Nummer zu groß für uns… zu groß für mich, wollte ich sagen. Ich kann ja nur von mir ausgehen“, doch Georgina pflichtet ihm bei: „Die Welt anhalten! Bin ich Superwoman oder was?“ „Ich bin auch raus“, meldet Hübsch-Dich-zu-sehen sich zu Wort. „Ich kehr jetzt zurück in meine Bude und hör mir noch meine Platten an…“ Und weg ist er. „Wir bleiben doch aber noch hier, oder?“ fragt Georgina nach, was George vorerst bestätigt. Khalil wiederholt, dass er ganz gerne die Echtzeit erfahren möchte, da er nun einmal wieder nach da oben müsse, weil am Donnerstag um sechs Uhr früh Arbeitsbeginn sei. Dies lässt George zu der Bemerkung hinreißen, ob Albert Einstein wohl jemals von solchen Entscheidungen beeinflusst worden ist. „Witzig, dass Du im Zusammenhang mit der Realwelt von ‚da oben‘ sprichst“, fällt dazu Georgina ein, worauf Khalil einlenkt, dass er ebensogut nach da unten hätte sagen können oder nach nebenan, und Georgina sagt, dass mit ‚da oben‘ die Assoziation mit dem Göttlichen naheliegt. „Die Realwelt als das Göttliche? Na, ich weiß nicht…“ „Doch, doch“ spinnt George Georginas Gedanken weiter. „Gemeint als Idealzustand, den es zu erreichen gilt: das Paradies auf Erden!“ „Ja, guter Gedanke! Den Garten Eden nicht erst nach dem Tod betreten zu dürfen, sondern bereits zu Lebzeiten.“ „Was den Assassinen ja angeblich im Rauschzustand ermöglicht worden ist“, fällt Khalil dazu ein. „Ich denke, dass der Schlüssel dazu die Erkenntnis darstellt“, meint Georgina. „Aber die zu erlangen wird dem Menschen schwer gemacht.“ „Durch Ablenkung, durch die Verbreitung falscher Informationen und falschem Wissen.“ „Aber wer hat daran Interesse?“ will Khalil nun wissen. „Und warum?“ „Auch bei dem Gespräch mit Susha sind einige Fragen offen geblieben“, merkt der Rabenvater an. „Hat sie gesagt, ob sie hier zu uns in den Keller kommen kann?“ fragt Georgina Taubenfuß nach. „Ich weiß es nicht. Wir können sie ja mittels einer Songline auf die Spur bringen. So wie bei Hübsch-Dich-zu-sehen.“ Khalil ist unterdessen immer unruhiger geworden, besteht darauf, zurückkehren zu wollen, und verabschiedet sich. „Klar. Gerne. Aber was?“ George schlägt vor, es mit einem Reggae auszuprobieren. „Auf dem Festival hat sie zu einem Stück von Bob Marley getanzt…“ Georgina kennt ein bisschen den Text vom Buffalo Soldier, fängt an, die Melodie zu summen und dann eine Strophe zu singen. George steigt etwas holprig ein, dann wiederholen sie, im Duett: „Said, he was a Buffalo Soldier/win the War for America/Buffalo Soldier, Dreadlock Rasta/fighting on arrival/fighting for survival/driven from the Mainland/to the Heart of the Carribean…“ „Na, das ist aber ziemlich sehr existentialistisch hier.“ George hebt grüßend die Hand, und als Georgina sich zu der Frau umdreht, die soeben durch die Kellertür hereingekommen ist, fällt ihr als erstes „Ziggy Stardust“ ein, was sie auch gleich laut ausspricht, um sofort darauf sich selber zu schelten, was für einen Blödsinn sie da von sich gibt. „George hat an irgendein Cat Woman gedacht“, was Georgina einen fragenden Blick zu dem Mann werfen lässt. Der winkt ab. „Nicht so wichtig.“ „Also, ich bin Susha von den drei Ebenen.“ Georgina streckt ihr die Hand entgegen, fragt, was es mit den drei Ebenen auf sich hat, und bekommt von Susha gesagt, dass damit die so genannte Realweltebene und die zwei Traumweltebenen gemeint seien. Georgina rechnet nach. „Also ich komme auf drei Ebenen, bislang. Diese hier, dann die Waldhütte mit dem Tank, und das Reggaefestival…“ „Der Keller hier und die Hütte gehören zu der von euch erschaffenen Traumwelt. Der Festivalort ist eine andere Traumwelt, die willentlich zu erreichen lediglich über den Samadhi-Tank möglich ist.“ „Dann befindest Du… Dein Realkörper sich jetzt in so einem Tank?“ „Nachdem ich einige Aufgaben zur Zufriedenheit Diegos erfüllt hatte, befand er mich bereit dazu, mit dem Floatingtank Bekanntschaft zu machen. Dadurch bin ich für die zweite Ebene justiert worden, sozusagen.“ Susha nimmt auf einer der Kisten platz, fragt, ob sie hier etwas zu trinken haben; so ein Alkopop wäre jetzt schick, doch Georgina schüttelt bedauernd den Kopf, und George rechtfertigt die fehlende Komponente mit „Frühversuch“. „Ach so, naja.“ „In der Waldhütte haben wir für Essen und Getränke gesorgt.“ „Mensch, in der Küche steht doch ein Kühlschrank!“ fällt da George ein, was Georgina ihre linke Hand an die Stirn schlagen lässt. „Stimmt, ja, die habe ich ganz vergessen“, und George fragt Susha, ob er ihr ein Bier holen solle, was die Frau mit einem Nicken bejaht. Auch die Taubenfuß ordert ein Bier, und so bewegt der Mann sich los, seinen Auftrag auszuführen, und die Frauen sind nun unter sich. „Hast Du Kinder?“ wird Georgina von Susha gefragt. Sie will zuerst verneinen, ihre Vergangenheit verleugnen, antwortet dann aber „Zwei. Einen Sohn und eine Tochter.“ „Wie alt sind sie?“ will Susha weiter wissen, und da muss Georgina eben überlegen. „Nick ist jetzt zehn, Cora neun.“ Susha hat ihr Zögern bemerkt, stellt eine weitere Frage, doch Georgina will oder kann sich dort jetzt nicht öffnen, sagt lediglich „die Kinder leben beim Vater“, und das muss genügen für den Moment. „Ich wünsche mir eine Tochter“ gibt nun Susha ein Stück von ihrem Inneren preis. „Aber noch ist nicht der richtige Erzeuger aufgetaucht.“ „Bist Du mit diesem D.B. liiert?“ „Nein. Aber ich habe ihm viel zu verdanken hinsichtlich meiner…Bewusstseinsentwicklung.“ „Soo, hier kommt das Bier.“ George verteilt die Flaschen, Georgina öffnet alle mit ihrem Feuerzeug. „Auf uns!“ „Auf das, was wir erschaffen!“ „Ja. Prost!“ Susha nimmt einen Schluck, sagt, dass sie zwischendurch mit Diego gesprochen habe, und der hat gesagt, dass er ein Gespräch mit Khalil führen will. „Er meinte damit ein Treffen in der Realwelt.“ „Dafür bräuchten wir dann seine Adresse.“ „Die werde ich Khalil in einem weiteren Traum zukommen lassen.“ Mit dieser Aussage ist Georges Verständnisfülle ausgeschöpft. „Wir haben doch nun alle möglichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um nicht aufgespürt zu werden. Zumal es sich hier doch um einen Informationsaustausch unter Gleichgesinnten handelt.“ „Diego ist übervorsichtig, da gebe ich Dir recht.“ Susha puhlt an dem Etikett der Bierflasche herum, überlegt, wie sie das Folgende formulieren soll, kommt schließlich damit heraus: „Er will erst sichergehen, dass es sich bei euch nicht um Nigromanten handelt.“ „Um…was?“ „Seher. Beherrscher der von der Kirche als Schwarze Magie bezeichneten Künste.“ Georgina muss bei diesen Bezeichnungen Lachen. „Willst Du damit sagen, er hält uns für Hexen und Zauberer?“ „Nein, nein! Darum geht es nicht! Als Nigromanten werden Diejenigen bezeichnet, die diese Fähigkeiten besitzen und sie in die Dienste beispielsweise der Kirche stellen, um Menschen wie euch aufzuspüren.“ „Menschen wie uns? Aber wir tun doch niemandem etwas zuleide.“ „In gewissen kirchlichen Kreisen werdet ihr als Abweichler bezeichnet.“ „In was für kirchlichen Kreisen?“ will es Georgina genauer wissen. „Glaubensgemeinschaften, die der festen Überzeugung sind, dass die Bibel das Wort Gottes ist und dass Gott das Universum, die Welt und alles Leben in sechs Tagen erschaffen hat. Menschen, die nicht an Gott und seinen Sohn Jesus Christus glauben, leben in Sünde und sind besonders empfänglich für das Böse. “ „Also irgendwelche Hardcorekatholiken“ interpretiert Georgina, was von Susha aber nicht uneingeschränkt bestätigt werden will. „Solches Gedankengut gibt es auch und besonders bei den Evangelikalen. Und nicht wenige dieser Bewegungen verfolgen die Bestrebung, wieder mehr Einfluss auf den Staat ausüben zu können. Verbündete dafür finden sie mitunter bei Adligen, die ihre 1920 abgeschafften Standesrechte wiedererlangen wollen. Mit Hilfe von Gottes Segen sozusagen.“ „Und solche…Nigromanten sind jetzt hinter uns her?“ fragt George zur Sicherheit nach, damit er auch nichts falsch verstanden hat. „Durchaus möglich, ja.“ George ist aufgestanden und geht in dem Kellerraum auf und ab, bleibt schließlich stehen. „Als ich von dem Gespräch mit Dir auf dem Festival zurückgekehrt bin, ist mir bewusst gewesen, dass… ich damit überfordert bin: die Welt anhalten. Den Moment der Stille herbeiführen…“ Er kratzt sich an der Stirn. „Wir haben alle unsere Zweifel bekommen. Hübsch-Dich-zu-sehen ist daraufhin zurück in die Realwelt.“ „Wer?“ „Na, der Typ aus Berlin.“ „Wir glauben, dass er uns über einen Telefonanruf vor eben jenen Kräften gewarnt hat“, fügt Georgina hinzu, wird jedoch von Susha berichtigt. „Das war Diego gewesen.“ „Wir wollen doch nur eine Traumwelt erschaffen“, klagt George. „Daran ist doch nichts Schlimmes. Oder?“ „Erinnerst Du Dich an unser Gespräch über das Paradies auf Erden?“ fragt Georgina ihn. „Und dass es den Menschen verwehrt wird, die dafür notwendige Kenntnis zu erlangen…“ „Negative Mächte haben sich der Lebensenergie bemächtigt, und haben daraus den Dämon Mammon erschaffen“, bekommen sie nun von Susha zu hören. „Und Mammon will, nein, er muss die Menschheit versklaven, damit er sein Schwert gegen die Erdgöttin Gaia erheben kann…“ Völlig entgeistert starrt George die dort auf einer Holzkiste sitzende Frau an, fragt, ob dies jetzt metaphorisch gemeint sei, was von Susha mit einem „nein, eher nicht“ beantwortet wird. Und erklärend fügt sie hinzu: „Für die Alten Griechen ist Gaia die Urgöttin gewesen. Das hat Diego und mir gefallen. Dass das Göttliche weiblich ist.“ „Und Mammon?“ will George wissen, der immer noch dasteht, als hielte er sich bereit, loszurennen und sich irgendwo zu verstecken. „Ja, das war schon bildlich gesprochen“, gibt Susha zu. „Mammon als Symbol für Reichtum und Gier und Macht.“ „Und warum Khalil?“ möchte Georgina von Susha wissen. „Was? Ach so. Na, weil er der Geschichtenschreiber ist.“ „Wie hatte er sich eigentlich zu den Ausführungen Sushas geäußert?“ George versucht sich zu erinnern; ihm fällt aber nur ein, dass Khalil darauf gedrängt hat, endlich die Echtzeit zu erfahren. Susha hat das Bier ausgetrunken, stellt die Flasche auf den Betonfußboden. „Überdenkt es, bitte, noch einmal! Ich würde mich freuen, wenn das Zusammentreffen zwischen Khalil und Diego zustande kommt.“ Susha winkt den beiden zu, öffnet die Kellertür, und verschwindet.
Als erste Handlung sucht Khalil einen Nachrichtensender in dem Fernsehgerät. Als der Mann das dort eingeblendete Datum und die Uhrzeit sieht, ist er erstaunt und gleichzeitig auch erleichtert. Ihm bleiben demzufolge ganze einunddreißig Stunden bis zu seinem Dienstbeginn. Zeit genug, in der er sich auf die Suche nach diesem Alexander Tagthetruth begeben kann. Vielleicht weiß der Treckernomade, wo er sich aufhält. Khalil lässt sich auf dem Bett nieder, erinnert sich an John, den Philosophen. Als er von seiner Neuseelandreise zurückkehrte, erfuhr er, dass in dieser Zeit John der Tod ereilt hatte. Diese Nachricht betrübte ihn; hatte er doch in den Gesprächen mit dem Philosophen einiges über sich selbst erfahren können. Khalil ist sich unschlüssig darüber, ob er zu den anderen in den Keller zurückkehren soll. Ihm liegt daran, die Traumwelt weiter aufzubauen. Und was hatte es mit diesen Kräften auf sich, die dies verhindern wollten? Wer hatte sie überhaupt davor gewarnt? Auch konnte er sich in die Waldhütte zurückträumen, und von dort aus versuchen, mit dieser Susha Kontakt aufzunehmen, in der Hoffnung, von ihr mehr zu erfahren. Aber dafür war es notwendig, dass der Traumaufzeichner sich noch in der Hütte befand. Bei dieser ganzen Grübelei überkommt den Mann der Schlaf, und er träumt, in Marokko zu sein. Er ist von einer Bergwanderung zurückgekehrt, sitzt nun im Gastraum des Hotels, hat sich Tajine bestellt. An einem Nebentisch sitzen zwei in Djellabas gehüllte Männer und spielen Backgammon. Als ihm sein Essen gebracht wird, fragt Khalil den Koch, was das Pentagramm auf der Landesflagge zu bedeuten hat. Der Mann sagt, es sei eine Abbildung des Siegels von dem weisen König Salomon. Khalil wacht früh am darauffolgenden Tag auf, duscht und rasiert sich, frühstückt, fährt anschließend mit dem Fahrrad los. Beim Treckernomaden trifft er niemanden an; Khalil vermutet, dass er mit dem Deutz unterwegs ist. Für einen Besuch bei Faktor 4 ist es noch zu früh, auch im Stadtpark vorbeizuschauen hat um diese Tageszeit wenig Sinn. So geht er einen Kaffee trinken, und fällt dabei den Entschluss, sich auf gut Glück in die Waldhütte zu träumen, findet dort den Gedankenaufzeichnungsapparat vor. Im Samadhi-Tank liegend gelangt er in einen Traum, in dem er auf Susha in dem Körper eines Krafttieres trifft. Dort erfährt er den Echtzeitaufenthaltsort von D.B. Da diesen Wohnort zu erreichen für Khalil mit dem Zug hin und zurück eine Tagesreise bedeuten würde, entschließt er sich, den Besuch auf das kommende freie Wochenende zu verlegen.
Rafael ist froh darüber, wieder auf sein Sofa zurückgekehrt zu sein. Nein, korrigiert er sich, er ist ja die ganze Zeit hier gewesen, lediglich seine Gedanken, sein Geist, oder was auch immer, haben sich auf eine Reise begeben. Als Jugendlicher hat er auf einer Party einmal Pilze probiert – nein, Peyote; war das nicht eine Kakteenart? Jedenfalls hat er unter der Wirkung der Droge ähnliche Erfahrungen gemacht. Seine Umgebung erschien ihm auf einmal verändert; auch die Partygäste sahen fremdartig aus, redeten anders. Er verließ das Partyhaus, ging hinaus auf die Straße. Von den am Straßenrand gepflanzten Bäume ging ein Leuchten aus, ebenso von den in den Gärten befindlichen Büschen und den dort wachsenden Rasenflächen. Er meinte damals, die Natur atmen zu sehen. Es war ein beeindruckendes Triperlebnis gewesen. Nun aber steht er nicht unter der Einwirkung von Drogen. Und um einen Flashback wird es sich jetzt nach zwanzig Jahren mit Sicherheit nicht handeln. Ein Traum ist es aber auch nicht gewesen. Nicht so ein Traum wie der mit dem Aborigine. Und auch nicht vergleichbar mit dem, in dem die Stimme ihm gesagt hat, er solle sich auf die Suche begeben nach Gleichgesinnten… Rafael greift nach der Flasche Sternburger, nimmt einen Schluck. Die Musikanlage ist immer noch angeschaltet, die Platte zum Ende gespielt, der Tonarm befindet sich wieder auf der Ablagestütze. Der Mann entschließt sich zu einem Spaziergang, zieht sich zur Sicherheit eine Jacke über, da die Luft sich im Laufe des Abends etwas abgekühlt haben könnte, packt sich zwei halbe Liter als Wegzehrung in den Rucksack, und geht los, die Straße entlang, gelangt irgendwann an eine Baustelle, will dort die über den Kanal führende Brücke überqueren. „Hübsch-Dich-zu-sehen?“ Der so Angesprochene wendet sich um, sieht an dem Bauzaun zwei Gestalten, die sich nun auf ihn zubewegen. Das gelbe Licht einer Straßenlaterne wirft ihre Schatten auf den Asphalt. Einer von ihnen trägt einen schwarz-weiß-karierten Hut. „Wir haben ein paar Fragen an Sie. Kommen Sie, unser Auto steht gleich in der Nähe…“ „Neinnein“, versucht sich Rafael nun herauszuwinden, „ich bin nicht der, den Sie suchen. Mein Name ist Kellner. Ich hatte nur…“ „Aber ja, das wissen wir doch. Sie müssen nicht beunruhigt sein. Wir benötigen lediglich Ihre Hilfe…“ Die Männer nehmen den Gesuchten zwischen sich, der Jüngere der Beiden umfasst seinen linken Oberarm, als müsse er ihn führen. Nachdem er mit dem Mann mit dem Hut auf der Rückbank platz genommen hat, startet der Andere den Wagen.. „Wir werden Sie selbstverständlich nachher wieder zu Ihrer Wohnung zurückbringen.“ Nach einer kurzen Strecke, während der die Fahrt Rafael unerträglich lange erscheint, halten sie vor einem alten, mehrstöckigen Gebäude. Der Jüngere schließt die Eingangstür auf, schaltet das Licht im Treppenhaus ein. Hintereinandergehend, Rafael wieder in der Mitte, steigen sie die ausgetretenen Stufen hinauf in die zweite Etage. Dort angekommen, wird eine weitere Tür geöffnet und Licht angemacht. Es ist eine Arztpraxis, die die drei Männer betreten haben. In einem der Behandlungszimmer wird sich hingesetzt; der Ältere legt seinen Hut auf den Schreibtisch, nimmt dahinter platz. Aus seiner Jackentasche holt er ein silbernes Etui, entnimmt ihm eine Zigarette, bietet dem sich auf einem der Stühle sich niederzulassen angewiesenen Rafael von dem Rauchwerk an, was dieser kopfschüttelnd ablehnt. So wird das Etui zurückgesteckt, sich vergewissert, dass ein Aschenglas bereitsteht, und die Zigarette mit einem Feuerzeug entzündet. Rafael deutet zu seinem Rucksack. „Kann ich vielleicht etwas trinken? Ich habe Durst.“ Der zweite der Männer schaut hinein, schüttelt den Kopf. „Alkohol können wir Ihnen nicht erlauben. Aber ein Glas Wasser kann ich Ihnen holen.“ Der Mann hinter dem Schreibtisch zieht an der Zigarette, wartet, bis der Andere mit dem Glas Wasser zurückgekehrt ist, und beginnt mit der Befragung. „Wo haben Sie sich in den letzten Tagen aufgehalten?“ Rafael zählt auf: „Die meiste Zeit zuhause. Dann war ich in der Bücherei, im Schwimmbad, und zwischendurch einkaufen.“ „Und mit wem hatten Sie Kontakt?“ Da muss Rafael nicht lange überlegen. „Mit den Angestellten in der Bibliothek, den Kassiererinnen im Supermarkt, dem Inhaber vom Grill, wo ich…“ Der Frager unterbricht ihn mit einer Bewegung seiner rechten Hand, will nun wissen, ob er einen Daniel Mauro kenne. Nein, antwortet Rafael, dieser Name sage ihm nichts. „Tja…“ Die beiden Männer wechseln einen Blick, dann greift der Ältere zu dem auf dem Schreibtisch stehenden Telefon. „…Dann werden wir für die weitere Befragung noch Jemanden hinzuziehen müssen.“ Zu dem Unbehagen, welches Rafael die ganze Zeit spürt, gesellt sich nun Furcht. Kalte Schauer kriechen sein Rückgrat hinab, Schweiß beginnt sich auf der Stirn zu sammeln. „Ich habe Ihnen doch alles wahrheitsgemäß beantwortet. Bitte, lassen Sie mich gehen!“ „Ja, gut. Dann sehen wir uns gleich. Ja, wir sind hier im Haus Nummer Dreiundzwanzig“, und an Rafael gewandt: „Er wird in spätestens einer Viertelstunde hier eintreffen.“ „Aber was wollen Sie denn noch von mir?“ „Die Wahrheit. Wir müssen davon ausgehen, dass Sie uns etwas verschweigen.“ Rafael senkt ergeben seinen Kopf, ballt die Fäuste, dann: „Ich muss mal pinkeln“, blickt die beiden Wächter nacheinander an. „Ehrlich jetzt.“ Der hinter dem Schreibtisch nickt, woraufhin der Andere Rafael auffordert, mit ihm zu kommen. Nachdem Rafael sich erleichtert und die Hände gewaschen hat, kehrt er mit seinem Begleiter in das Behandlungszimmer zurück. Kurz darauf ist das Schließen der Eingangstür zu hören. Ein hagerer, grauhaariger Mann betritt den Raum. Er trägt einen Arztkittel, darunter einen smaragdgrünen Hausanzug. Der Mann grüßt mit einem stummen Nicken, weist Rafael an, ihm in einen anderen Raum zu folgen und dort auf einem Untersuchungsstuhl platz zu nehmen. Neben dem Stuhl befindet sich eine Apparatur mit einem Monitor. „Ich werde jetzt eine EEG bei Ihnen durchführen.“ „Aber wozu das Ganze?“ versucht Rafael Widerstand zu leisten. „Ich bin doch nicht krank.“ Zum ersten Mal schaut ihn der Grauhaarige direkt an. „Wir vermuten, dass Sie Kontakte haben mit abnormalen Erscheinungen.“ „Mit…was?“ „Althergebracht auch bezeichnet als Dämonen.“ „Wollen Sie mir weismachen, dass George und Georgina vom Teufel besessen sind?“ bölkt Rafael die Drei an, sich gleich darauf bewußt werdend, sich verplappert zu haben. „Sie geben sich als Schutzengel oder Schutzwesen aus, je nachdem“, fährt der Grauhaarige im dozierenden Ton fort. „Aber das sind sie bei weitem nicht. Es sind besessene Abtrünnige, die Zwietracht unter den Menschen säen wollen, um schließlich die Herrschaft über die Welt zu erlangen.“ „Aber genau das wollen sie verhindern durch den Moment der Stille“, kontert Rafael, was bei dem Typen hinter dem Schreibtisch ein verächtliches Schnauben hervorlockt. „Einmal ist es der Moment der Stille, ein anderes Mal ist es das Siegel des Salomon, dann wieder ist es irgendetwas anderes, mit dem sie die Menschen verwirren wollen.“ „Ihr Mund ist glätter denn Butter und haben doch Krieg im Sinn. Ihre Worte sind gelinder denn Öl, und sind doch bloße Schwerter…“ „…Dass Du nicht geratest auf den Weg des Bösen, noch unter die verkehreten Schwätzer…“ „…Die da verlassen die rechte Bahn, und gehen finstere Wege…“ „…Die sich freuen, Böses zu tun, und sind fröhlich in ihrem bösen, verkehreten Wesen.“ „Das ist ein Traum hier“, meint sich Rafael auf einmal sicher zu sein, woraufhin der Mann in dem Arztkittel ihm mit einem kleinen silberfarbenen Hammer einen leichten Schlag unterhalb des rechten Knies versetzt, was den bekannten Reflex auslöst. Voll der Verzweiflung starrt Rafael auf sein Bein, den Tränen nahe. „Helfen Sie uns, diese Georgina Darling und George Oremora ausfindig zu machen… und auch den Herrn, der sich Khalil Samiri nennt. Dann haben Sie nichts zu befürchten.“ Warm und freundschaftlich klingt dabei die Stimme des hageren Grauhaarigen. „Aber ich bin ihnen doch nur im Traum begegnet. Ich weiß doch gar nicht, wo sie in Wirklichkeit wohnen.“ „Ihr Unterbewußtsein wird uns mit Hilfe dieses Apparates Antwort darauf geben.“ Rafael bekommt Elektroden an die Kopfhaut befestigt. Nachdem der Arztkittelträger auch sich ein ebenfalls mit der Apparatur verbundenes Elektrodennetz aufgesetzt hat, schaltet er das Messgerät ein, setzt sich auf den Stuhl Rafael gegenüber, schließt die Augen. „Ist das auch so eine Art Gedankenaufzeichnungsapparat?“ will Rafael in Erfahrung bringen, und der Mann hinter dem Schreibtisch bedeutet ihm, nicht zu sprechen, doch der Grauhaarige hat seine Augen wieder geöffnet und richtet das Wort an ihn. „Ach. Haben die so etwas etwa benutzt?“, und schon wieder hat Rafael das Gefühl, etwas verraten zu haben. Der Mann ihm gegenübersitzend redet beruhigend auf ihn ein. „Vertrauen Sie uns, Herr Kellner. Lauschen Sie in Ihr Inneres, so wie auch ich es tun werde…“
„Ah, da seid ihr ja.“ „Immer noch“, bestätigt Georgina. „Und, musstest Du arbeiten?“ wird Khalil von George gefragt. „Ach was, nein! Ist noch Zeit genug bis dahin.“ Khalil pflanzt sich auf einen der Stühle, reckt und streckt sich, deutet auf die leergetrunkenen Flaschen, fragt, ob sie vielleicht für ihn ein Bier da hätten, was lachend von den Beiden verneint wird. „Aber im Kühlschrank ist noch genug da.“ „Im Kühlschrank?“ „Na, in der Küche.“ „Ach ja, die gibt es ja auch noch!“ Khalil erhebt sich und will losgehen. „Bring uns auch welche mit!“ „Klar.“ Nachdem der Mann mit dem gewünschten Nass zurückgekehrt ist, werden Trinksprüche ausgesprochen. „Auf unsere Traumwelt!“ „Ja, cheers.“ „Auf dass wir unbehelligt bleiben!“ „Wieso? Habt ihr etwas Konkretes in Erfahrung bringen können?“ Georgina berichtet von dem Besuch Sushas hier im Keller, und was sie von ihr zugetragen bekommen haben. Darüber zeigt sich Khalil bestürzt, sagt, dass er dem Anruf nicht so recht hatte Glauben schenken wollen. Und als Georgina hinzufügt, dass der Anruf von D.B. gekommen sei, teilt er ihnen mit, dass er in seiner Traumreise erfahren hat, wo Diego wohnt. Er schlägt vor, dass sie alle drei zu ihm hinfahren. Den Einwand von George, Susha habe gesagt, D.B. wolle zuerst nur mit ihm sprechen, lässt Khalil nicht gelten. „Wir alle sind gleichberechtigt!“ „Dann sollte auch Hübsch-Dich-zu-sehen mitkommen.“ „Ich habe es so verstanden, dass der Mann sich verabschiedet hat…“ „Nun ja. Auch George und ich sind uns nicht ganz schlüssig darüber, wie wir handeln sollen. Was ist Deine Meinung dazu?“ Der Gefragte wiegt seinen Kopf hin und her. „Um ganz ehrlich zu sein: mir geht die Menschheit links am Arsch vorbei.“ „Khalil!“ „Ja. Was kann ich… was können wir dafür, dass Kriege geführt werden, die Menschen ihr Leben führen auf Kosten der Umwelt und anderer Lebewesen, und dabei noch meinen, sie wären dazu berechtigt, weil sie ja die Krone der Schöpfung darstellen…“ „Es sind aber doch nicht alle so“, wirft Georgina ein, was Khalil eine wegwerfende Handbewegung machen lässt. „Ich wusste, dass dies als Antwort kommt! Leider erweckt es bei mir den Eindruck, dass Diejenigen, die nicht so sind, etwas wenig dafür tun, die Zustände zu ändern.“ „Sie haben zu wenig Einfluß. Oder auch nicht genügend Kraft…“ „…Oder sie werden abgelenkt“, erinnert sich George an das Gespräch hier vor einiger Zeit mit Georgina. Diese stimmt dem Rabenvater zu. „Und ihnen fehlt schlichtweg die Zeit zum Handeln, weil sie arbeiten und Geld verdienen müssen, um die Miete bezahlen zu können, und Schulbücher für ihre Kinder…“ Ja,ja, ich muss auch arbeiten“, hält Khalil dagegen. „Und mit meiner Behindertenarbeit tu ich meiner Ansicht nach ausreichend Gutes.“ Georgina seufzt auf. „Ach mensch, Khalil, es stimmt ja alles, was Du sagst.“ „Worüber ich mir Gedanken mache“, spricht nun George, „dass sind diese Nekromanten, oder wie die heißen.“ „Ja, was wollen die eigentlich?“ reagiert Khalil darauf. „Die können sich mal nen Backs abholen!“ „Einen…was?“ „Also euren Beschreibungen nach kommt es mir vor, als handelt es sich bei Denen um irgendwelche Faschisten, die das vierte Reich errichten wollen. Und so ein Gesocks kann ich ja nun gar nicht ab.“ Während Georgina sich über Khalils Äußerungen positiv überrascht zeigt, mahnt George zur Vorsicht, rät, erst mit D.B. in Kontakt zu treten und zu hören, was er über diese Erscheinungen weiß. „Und dies sollte so bald wie möglich geschehen.“ Als Khalil sagt, dass er die Fahrt dorthin wegen seiner Arbeit für das kommende Wochenende geplant hat, fragt Georgina, ob er den Dienst eventuell tauschen könne, da das Zusammentreffen mit D.B. schon eine dringliche Angelegenheit sei. „Oder wir nehmen Kontakt zu Georgina Ponee auf und fahren gemeinsam mit dem Auto zu Diego“, schlägt George vor, „da sind wir schneller unterwegs.“ „Das nützt nichts“, widerspricht Khalil. „Das Treffen soll in der Realwelt stattfinden.“ „Ach so, ja, stimmt.“ Schweigend versinken die Drei im Nachdenken, um eine bestmögliche Lösung für das Problem zu finden.
Das Glatzengirl sitzt bei Morgen-ist-eh-alles-zu-spät. Morgen-ist-eh hat Tee zubereitet, dazu gibt es Gebäck. Sonja ist zu ihm gekommen in der Hoffnung, dass er weiß, wo Alexander Tagthetruth sich aufhält, doch er kann ihr nicht weiterhelfen. „Schieß-mich-heute-tot und Barfly sind zu einem Rockkonzert gefahren, aber da ist er nicht mit.“ „Die letzten, die ihn gesehen haben, sind Mikesch und Faktor vier“, weiß Sonja, „und das ist vorgestern Abend gewesen.“ „Hast Du dieses Pärchen schon mal wieder gesehen, die neulich im Stadtpark aufgetaucht sind?“ „Ach, die wissen doch auch nichts.“ Sonja greift sich einen Keks, wirft sich genervt im Sessel zurück. In dem Moment wird die Tür geöffnet und der Hippie tritt herein. „Hallo Leute! Na, alles fix?“ Nein, ist es nicht, und Morgen-ist-eh erklärt, warum. „Na, da kann ich schon weiterhelfen.“ „Wieso, weißt Du…?“ „Ja, aber easy! Aber Du musst versprechen, nichts weiterzuplaudern…“ „Ich versprechs!“ „Sie ist vertrauenswürdig“, legt Morgen-ist-eh sein Wort für das Glatzengirl ein. „Wenn Du willst, fahr ich Dich zu ihm.“ Und an Morgen-ist-eh gewandt: „sorry, aber ich werds hier jetzt nicht ausplaudern“, wofür der Hausherr Verständnis zeigt. „Geht schon klar. Je weniger Leute Bescheid wissen…“ Eine halbe Stunde später hält der Transit auf einem abseits gelegenen, schon reichlich verfallenen Bauernhof. „Hier wohnst Du…allein?“ „Hab den Kasten vor einem halben Jahr geerbt. Für den Winter gibts nen Ofen und reichlich Brennholz. Nur Strom hab ich noch nicht, aber den melde ich demnächst an.“ „Gibts hier denn eine Toilette? Oder muss ich auf ein Plumpsklo gehen?“ „Nee, alles easy! Ich zeig Dir, wo es ist. Und zu Alexander gehts dann die Treppe rauf…“ Der sitzt in einem notdürftig bemöbelten Raum mit einer Fensterluke in der Dachschräge, durch die das Licht des Nachmittages hereinkommen kann. „Hey, Alex!“ „Hey.“ Sonja setzt sich ihm gegenüber auf den Fußboden. „Warum versteckst Du Dich hier?“ Alex hat seinen Blick auf die Holzdielen unter seinen Füßen geheftet. Unvermittelt schaut er die junge Frau an. „Ich kann sie nicht mehr wahrnehmen…“ Er spricht leise, beinahe flüsternd. „…Es ist, als wäre die Verbindung zu ihnen abgebrochen.“ „Sind sie… verschwunden?“ Tagthetruth schüttelt seinen Kopf. „Es ist etwas anderes da, das sich dazwischengeschoben hat. Andere Energien…“ Wieder senkt er seinen Blick, den Kopf zwischen den Händen haltend. Am liebsten möchte Sonja den Jungen in die Arme nehmen, ihn trösten, ihn beschützen, wenn sie wüsste, wovor. „Was ist das, wovon Du sprichst?“ Wieder bewegt Alex seinen Kopf hin und her. „Es ist etwas Mächtiges. Aber ich kann es nicht sehen… es gibt sich nicht zu erkennen.“ „Was kann ich tun?“ wird von dem Glatzengirl gefragt. „Richte Grüße aus an Alle… oder nein, besser nicht?“ „Von mir wird niemand erfahren, wo Du Dich aufhältst.“ Damit beenden sie ihr Gespräch. Unten sitzt der Hippie in einem lädierten Sofa, streichelt einen Hund, der leise zu knurren anfängt, als Sonja die Diele betritt. „Hey Elwood, aus! Das ist Sonja, die gehört zu uns!“ Die Frau nimmt auf einem alten Holzstuhl platz. „Was hat er zu Dir gesagt?“ Sonja gibt es wieder. „Im Grunde das Gleiche, was er auch zu Mikesch und Faktor vier gesagt hat. Und dass das, wovon diese negativen Energien ausgehen, immer näher kommt…“ Der Hippie überlegt. „…Nein. Dass es sich bereits irgendwo hier befindet, so hat er sich ausgedrückt.“ „Oh, mensch, was kann er nur damit meinen? Alex ist doch nicht verrückt, oder?“ „Nicht verrückter als Du und ich.“ Die beiden Menschen gehen eine Zeitlang ihren Gedanken nach, dann „soll ich Dich noch irgendwo hinfahren?“ „Ja. Vielleicht ist im Stadtpark jemand.“ „Gut. Fahren wir zum Stadtpark! Und Du, Elwood, Du kommst mit!“ Freudig mit dem Schwanz wedelnd springt das Tier auf und läuft dem Hippie und Sonja voraus zum Transit.
Der Transporter fährt auf den Hof eines Mehrfamilienhauses, hält bei den Garagen. Die Scheinwerfer werden ausgeschaltet. Die abgedunkelten Scheiben verwehren einen Blick in das Innere des Fahrzeugs. Außer dem Fahrer befinden sich noch vier weitere männliche Personen darin. Sie tragen Bekleidung aus Armeebeständen, dazu Sturmhauben, und sie sind bewaffnet. Der Mann auf dem Beifahrersitz hält ein Mobiltelefon an sein Ohr. „Hier spricht die Einheit Zwicker. Wir haben das Ziel erreicht. In einer der unteren Wohnungen ist Licht zu sehen. Es gibt einen Hintereingang, über den wir uns Zutritt verschaffen werden. Nächste Meldung erfolgt nach Zugriff. Zwicker Ende.“ Zeitgleich werden die Türen von dem Transporter geöffnet. In geduckter Haltung nähern sich die Männer der Hintertür. Der die Meldung abgesetzt hat drückt die Klinke hinunter, gibt den anderen das ok-Zeichen, woraufhin sie in das Haus eindringen. Sie befinden sich im Flur. Einer der Männer formt mit seinen Lippen ein “wo?“, und es wird mit dem Daumen zum oberen Stockwerk gedeutet. Kopfnicken. Hintereinander bewegen sie sich die Stufen hinauf, sammeln sich vor der Tür zu der Wohnung, die als Aufenthaltsort der Gesuchten angegeben wurde. In den Glasscheiben der Wohnungstür ist ein Schimmer blauen Lichts zu erkennen. Auf ein weiteres Zeichen hin wird die Klinke hinuntergedrückt, und tatsächlich lässt sich auch diese Tür öffnen. Zwei der Männer observieren die Räumlichkeiten links vom Eingang: Küche und Badezimmer. Ein Mann schaut in den nächsten Raum, in dem sich die Quelle des Lichts befindet. Er entdeckt einen eingeschalteten Fernseher, der in einem Einkaufswagen steht. Gemeinsam rücken sie zu dem Raum am Ende des Flures vor. Dort ist es dunkel. Nur schemenhaft sind drei Gestalten zu erkennen, die auf dem Fußboden sitzen. „Ach du Scheiße“, entfährt es einem der Männer, und gleich darauf betätigt ihr Anführer einen Lichtschalter. Ihre Waffen sind auf die am Boden Hockenden gerichtet, doch von Denen kommt keine Reaktion. Die drei, zwei Männer und eine Frau, sitzen einfach nur da, und haben ihre Augen geschlossen. „Sollen wir sie liquidieren?“ „Wartet.“ Erneut wird das Mobiltelefon aktiviert. „Wir haben die drei Objekte ausfindig gemacht. Wie sollen wir mit ihnen weiter verfahren? – Nein. Sie befinden sich noch in ihrem Trancezustand – ja. Habe verstanden. Ende.“ Der Mann steckt das Telefon zurück. „Anweisung von Señor de Montesa: die Abweichler sind lokalisiert. Nun gilt es abzuwarten, da anzunehmen ist, dass es noch weitere von ihnen gibt, die sie aufsuchen werden, und wir ihrer dann habhaft werden können…
