The offending Humans

Die drei Männer machen einen konzentrierten Eindruck, wobei sie aber auch meditierend nach-innen-lauschend wirken. Einer der drei hält seine Augen geschlossen, die zwei anderen richten ihre Blicke auf ihn, als warten sie auf ein Zeichen, eine Aufforderung. Und diese kommt, in Form der hinausgebrüllten Worte „Eins, zwei, drei, GO!“ und darauf bricht ein infernalischer Lärm aus, der gegen die feuchten Wände und die Decke des Übungsraums hämmert und raus will wie Dampf aus einem Schnellkochtopf. Die aus einem Orange-Verstärker heraushauenden Bässe treffen auf eine durch in Reihe geschaltete Piggyback-Verstärker verzerrte Gitarre, kämpfen erst miteinander, um sich nach und nach anzunähern, zu einem gemeinsamen Tanz, dessen Rhythmus durch ein Schlagzeug vorgegeben wird, hinter dem ein durch die in sein Gesicht sich hineinbewegenden Haare nicht zu erkennendes Wesen hockt und mit hingebungsvoller Gewalt auf die Grundausstattung seines Instruments eindrischt. (Bassdrum, Snare und HiHat – unglaublich, was man da alles rausholen kann, vorausgesetzt, man hat das nötige Talent oder genug Wut; bei dem jungen Mann hier darf getrost zweites attestiert werden, und zudem ist er Guns`n Roses-Fan, was jetzt nichts über seine musikalischen Qualitäten aussagt. Lediglich die vordere Bespannung der Bassdrum (das Teil, was über ein Fußpedal bearbeitet wird) weist ein dilettantisch aber liebevoll aufgemaltes Logo dieser Band aus.

So an die fünf, sechs Minuten wird der Sound, der so ein bisschen an die sich zu der Zeit gerade aufgelösten SWANS erinnert, aufrechterhalten, dann bricht das Schlagzeug auf einmal abrupt ab, Gitarre und Bass beenden daraufhin ihren Tanz. Der Gitarrist, seinen Blick bisher auf die Finger des Bassisten gerichtet, dreht sich um, sieht, wie der Drummer gerade einen Schluck aus der Bierdose nimmt. „O mensch, wir haben doch ausdrücklich vereinbart: während des Probens keinen Alkohol!“ Schieß-mich-heute-tot stellt die Dose neben dem Schlagzeug ab. „Ja, Matthias, ich weiß. Aber mit nem Bierchen kann ich mich halt besser konzentrieren…“

Die Feuerschutztür des Kellerraums wird aufgedrückt, ein rothaariges Mädchen kommt herein. „Hi, Leute! Sonja sagte mir, dass ich euch hier finden würde.“ „Wer ist das?“ wendet sich der Gitarrist an Morgen-ist-eh-alles-zu-spät, den Bassisten, und ehe dieser antworten kann, stellt das Mädchen sich selbst vor. „Ich bin Swan Lee. Und Du musst Barfly sein.“ Die Bestätigung quittiert Swan Lee mit einem ‚cool‘. „Braucht ihr vielleicht noch eine Sängerin?“ „Was?“ Der Gitarrist verneint, will am liebsten, dass das Mädchen verschwindet, doch diesen Buchungsabschluss kann er vergessen, da seine Bandkollegen nun anfangen zu diskutieren. Derweil setzt sich Swan Lee auf einen herumstehenden Korbstuhl und holt ihre Orangensaftflasche aus dem Rucksack.

„Schau mal, Alkohol trinkt sie auch nicht“ wirft Morgen-ist-eh-alles-zu-spät auf die Aktivaseite, was Barfly lediglich veranlasst, Feierabend zu verkünden, nachdem er einen Blick auf seine Taschenuhr geworfen hat. Dies wiederum ist das Signal für Schieß-mich-heute-tot, die Bierdose zu ergreifen und, nachdem er sie geleert hat, zusammengedrückt in den Raum zu pfeffern. „Also, auf geht´s in den Stadtpark!“

„Na, hast nen neuen Chauffeur gefunden?“ begrüßt Sonja Swan Lee, als diese diesmal in Begleitung von Morgen-ist-eh-alles-zu-spät die Rasenfläche betritt. „Barfly und Schieß-mich-heute-tot kommen auch gleich noch.“ Morgen-ist-eh-alles-zu-spät setzt sich zu einem Herrn mit einer starkglasigen Brille, der gerade dabei ist, Backgammonsteine für ein Spiel aufzubauen. „Grüß Dich, Faktor vier. Hast Du schon einen Mitspieler?“ Statt einer Antwort reicht dieser ihm einen Würfel. „Die höhere Zahl fängt an.“ „Willst`n Bier?“ wird Morgen-ist-eh von einem Jungen gefragt, der ähnlich hippielike gekleidet ist wie Glatzengirl. „Ja, gerne. Bist Du heute der Bierverteiler?“ „Ja, easy. Hab ich mir mal so gedacht.“ „Warum nennt er Dich denn Faktor vier?“ will Swan Lee von dem Herrn wissen, woraufhin sich das Licht des Nachmittages in seinen starken Brillengläsern spiegelt, als er sich dem Mädchen zuwendet. „Is doch klar: Warp Faktor fooour!“, und als Swan Lee verständnislos dreinschaut, erklärt Morgen-ist-eh „na, er ist halt n Trekkie“, was der Fünfzehnjährigen auch nicht weiterhilft. „Star Trek, schon mal was von gehört?“ „Ach so, ja. Guck ich aber nicht.“ Diese Äußerung lässt Faktor 4 sich in gespielter Verzweiflung an den Kopf fassen. „Aber Krieg der Sterne find ich toll.“ „Möge die Macht mit uns sein“, ruft da der Hippiejunge aus.

Barfly und Schieß-mich-heute-tot haben mit ihren Fahrrädern den Stadtpark erreicht und gesellen sich der kleinen Gruppe hinzu, bekommen auch Bier angeboten. Barfly nimmt eine Dose entgegen, Schieß-mich hat selber noch welche im Rucksack dabei. „Wann kriegt man euch denn mal live zu hören?“ will Glatzengirl wissen. „Dann, wenn unser Programm steht“, bekommt sie von Barfly die Antwort, „und wir nicht andauernd von unangemeldetem Besuch gestört werden.“ Sonja verdreht die Augen. „Die Kleine hat doch nur gefragt…“ „Ich bin nicht mehr klein“, lässt da Swan Lee verlauten, und als Morgen-ist-eh sagt „wir haben überlegt, dass Swan Lee Sängerin bei uns werden könnte“, fährt Barfly dazwischen: „WIR haben überhaupt nichts überlegt. IHR habt überlegt!“ „Ach mensch, Matthias, sei doch nicht andauernd so aggressiv“, bekommt er von Sonja zu hören, was auf den Gitarristen der Band auch nicht beruhigend wirkt. „Ich bin nicht aggressiv. Und nenn mich nicht Matthias.“

Unterdessen haben sich den auf dem Rasen Sitzenden ein Mann und eine Frau genähert. Sie tragen silbern- und goldglänzende Kleidung und haben Halsketten aus Muschelschalen umgehängt. Original aussehende Cowboystiefel vollenden ihr schon als auffallend zu bezeichnendes Erscheinungsbild. Die Beiden sind stehen geblieben, die Frau richtet sich mit Gesten an ihren Begleiter, und als dieser zustimmend nickt, treten sie an die Gruppe heran. „Hallo. Wir sind Lyndon und Neila. Dürfen wir uns zu euch setzen?“ „Ja, ja klar. Gerne.“ Glatzengirl räumt ihre Stiefel beiseite. „Wollt ihr n Bier?“ „Vielen Dank, aber: nein. Wir haben vorhin schon etwas zu uns genommen. Was wird denn da gespielt?“ „Das Spiel nennt sich Backgammon“ antwortet Morgen-ist-eh-alles-zu-spät, und die Frau gestikuliert wieder, als müsse sie dem Mann übersetzen, doch dieser weiß: „Ein Brettspiel mit einer Mischung aus Würfelglück und Strategie. Es gibt unterschiedliche Varianten, so zum Beispiel die Russische und die Griechische. Ursprünglich kommt das Spiel aus dem angelsächsischen Bereich.“ „Und woher kommt ihr?“ will da der Hippiejunge wissen. „Oh. Wir haben eine lange Reise hinter uns. Zufällig hat der Weg uns hierher zu euch geführt.“ „Es gibt keine Zufälle“, weiß Barfly zu korrigieren. Die Frau schaut ihn an und gibt ihm recht. „Gibt es einen Anlass, zu dem ihr euch hier trefft?“ „Nein, kein Anlass“, beantwortet Glatzengirl die Frage der Frau. „Bier trinken, Musik hören…“ „…Backgammon spielen“, ergänzt Faktor 4 und setzt seinen Wurf, kann dabei einen Stein von Morgen-ist-eh rauswerfen. Die Frau mit dem Namen Neila interessiert sich für das Leben dort in der Kleinen Stadt, was sie so beruflich machen, und fragt schließlich nach außergewöhnlichen Ereignissen, die sich vielleicht in der letzten Zeit zugetragen haben. Dazu fällt Sonja ihr Gespräch mit Alexander ein, und als Neila nachfragt, erzählt sie von den Gedankenströmen, die Alex empfangen haben will, und von seinen Traumbegegnungen. Die Frau und der Mann hören aufmerksam zu, beraten sich, nachdem das Glatzengirl geendet hat, wieder mittels ihrer Gebärden. „Wo können wir diesen…Alexander…denn antreffen?“ Manchmal würde er in der Kneipe auftauchen, erhalten sie als Antwort, aber wo er wohnt weiß keiner zu sagen. „Wie heißt er denn weiter?“ „Er nennt sich Alexander Tagthetruth. Aber seinen richtigen Namen wissen wir auch nicht.“ Neila schließt das Gespräch, bedankt sich, wünscht noch eine angenehme Zeit, und dann gehen sie den Weg entlang, der zu dem angrenzenden Friedhof führt.