Youth against facism

Durch das Laubdach der Bäume schimmert zaghaft das Licht der Spätnachmittagssonne. Es ist ein heißer Tag, doch dort ist es angenehm; die Eichen und Buchen bieten etwas Schutz vor der Strahleneinwirkung. An eines der drei Denkmäler, die an die Gefallenen der beiden Weltkriege erinnern, hat jemand das Friedenszeichen gesprüht. Entlang der Wege stehen Bänke, die gestiftet worden sind von Geschäftsleuten und anderen Persönlichkeiten der Kleinen Stadt. Ihre Namen sind eingraviert in die an den Bänken befestigten Messingschilder. Das Geräusch eines nahenden Traktors ist zu hören, verstummt, und kurz darauf taucht zwischen den Rhododendren ein hochgewachsener Kerl in Zimmermannskluft auf. Begleitet wird er von einem vielleicht fünfzehn- sechzehnjährigen Mädchen mit kirschrot gefärbten Haaren. „Hey, Mikesch“ wird der Neuankömmling von einem der auf der Rasenfläche Sitzenden begrüßt. „Hi Leute, ich bin Swan Lee“, stellt sich das Mädchen vor, „der Treckernomade hat mich mitgenommen.“ „Willst n Bier?“ wird sie von dem gefragt, der Mikesch begrüßt hat. „Ich glaube, dafür ist sie noch ein bisschen zu jung“, weist ihn eine jungen Frau zurecht, und an Swan Lee gewandt: „Ich heiße Sonja.“ „Ist schon okee, ich hab selber was mit.“ Das Mädchen holt eine Glasflasche aus dem Rucksack, öffnet den Drehverschluss und nimmt einen Schluck von dem Getränk, das der Farbe nach Orangensaft sein könnte. Der Treckernomade hat sich unterdessen eine Bierdose aus der bereitgestellten Palette geangelt, die Lasche aufgezogen, und prostet dem Spender zu. „Kann ich auch noch eins haben?“ wird dieser gefragt, woraufhin er mit den Worten „noch ist was da“ eine Dose an einen Typen überreicht, auf dessen T-Shirt der Schriftzug „schieß mich heute tot“ zu lesen ist. Der bedankt sich und wendet sich wieder dem Backgammonspiel zu, das er sich mit einem anderen Typen leistet, der ein Shirt mit dem Satz „morgen ist eh alles zu spät“ trägt. Swan Lee betrachtet die junge Frau neben sich. Sie trägt ein in blau und orange gebatiktes Hemd mit weiten Ärmeln, an dessen Enden Rüschen angenäht worden sind. Das eine Bein ihrer Cordjeans ist auberginefarben, das andere in grün gefärbt. Die Haare hat sie abgeschnitten und die Kopfhaut rasiert. „Bist Du etwa das Glatzengirl?“ traut sich Swan Lee sie zu fragen, was von Sonja mit einem Schulterzucken bestätigt wird. „Oh man, ist das cool.“ Glatzengirl zeigt sich etwas irritiert über die Reaktion des Mädchens, fragt nach, was sie denn bitte so cool findet. „Na, wie…dass Du den Fascho auf der Demo verkloppt hast!“ Sonja verdreht die Augen. „Also erstens habe ich den Fascho nicht verkloppt, zweitens war das nicht auf der Demo, sondern danach, und drittens…“ „…ist Gewalt keine Lösung“, kommt da aus der Richtung des Spielbretts, „…war es Notwehr. Der Scheißkerl ist mich angegangen.“ „Und…was hast Du gemacht?“ Swan Lee hängt an den Lippen der vielleicht sieben Jahre älteren Frau. Diese deutet mit ihrem Kinn auf die auf dem Rasen abgestellten Fallschirmspringerstiefel. „Damit habe ich ihm einen Tritt zwischen die Beine versetzt.“ „Cool.“ „Naja, wie gesagt, es war Notwehr. Die Typen hatten mir nach der Demo in einer Seitenstraße aufgelauert. Ich war gerade auf dem Weg in die Kneipe…“ „Wie…das waren Mehrere?“ „Vier oder fünf, genau weiß ich es nicht mehr. Jedenfalls hatte der eine ein Messer in der Hand und drohte mir ‚jetzt mach ich Dich fertig‘. Und da habe ich halt zugetreten, reflexartig, gewissermaßen. Weglaufen hätte nichts gebracht.“ „Und was passierte dann?“ „Ach mensch, ich glaube nicht, dass Sonja…“ mischt da sich Mikesch ein, doch das Glatzengirl wehrt ab: „Nein, ist schon in Ordnung!“ Die Frau spürt, dass es ihr gut tut, über dieses einige Wochen zurückliegende Ereignis zu sprechen, hier, jetzt, mit diesem Mädchen, welches sie hier gerade zum ersten Mal sieht. „Die anderen standen da, sahen zu, wie ihr Anführer oder was auch immer stöhnend zusammensackte. Auch ich stand da, wie festgeleimt, aber in meinen Beinen zuckte es. Jetzt wäre es vielleicht der richtige Zeitpunkt gewesen, abzuhauen. Und auf einmal tauchte eine Gruppe von der Demo auf, auch gerade auf dem Weg zur Kneipe. Das bekamen die Faschos mit und machten sich daraufhin aus dem Staub….“ Sonja überlegt, wie es weiterging. „Der da auf dem Asphalt gekniet hat, rappelte sich hoch, bekam noch einen Arschtritt. Zwei wollten dem Haufen noch hinterher, wurden aber von den anderen überredet, nun doch lieber in der Kneipe noch ein, zwei Bier zu trinken, bis ihr Zug fährt.“ Die Sonne ist verschwunden, lange wird es nicht mehr dauern, bis die Dämmerung einsetzt. Schieß-mich-heute-tot und Morgen-ist-eh-alles-zu-spät haben ihr Spiel beendet. „Sehn wir uns nachher noch in der Kneipe?“ fragt Glatzengirl in die Runde, bekommt eine positive Rückmeldung lediglich von dem Bierverteiler. So steigt sie in ihre Stiefel und macht sich auf den Weg.