Der Mann mit dem Namen Matthias sitzt in der angemieteten Wohnung und denkt nach. Er versucht sich die Leute in sein Gedächtnis zu rufen, die damals mit dem Moment der Stille zu tun gehabt hatten. Wenn er nur wüsste, wo sie sich jetzt aufhielten. Vielleicht, so erhofft sich der Mann, hat der eine oder die andere noch eine Verbindung zu George, Georgina oder Khalil. Es waren alles Leute, die er aus dem Stadtpark oder aus der Kneipe gekannt hat. Das Glatzengirl fällt ihm ein, der Treckernomade, Morgen-ist-eh-alles-zu-spät… Der Treckernomade hatte sich kurze Zeit darauf mit seinem Deutz verdrückt, so meint sich Matthias zu erinnern. Und die anderen? Keine Ahnung. Im Nachhinein ärgert Matthias sich, dass er damals den Kontakt abgebrochen hat. Zu dumm…
Da taucht noch jemand anders in seinem Gedächtnis auf, der auch ab und an im Park gewesen ist, aber der Mann bringt ihn hauptsächlich in Verbindung mit der Radioaktion: Faktor 4! Für alle ist er der verschrobene Sonderling gewesen, der in dem Haus seiner Eltern wohnte, umgeben von einer ständig wachsenden Sammlung aus Büchern, Schallplatten und CDs. Ob Faktor 4 dort immer noch wohnt? Ein leises Lächeln umspielt Matthias
Lippen. Dies gilt es herauszufinden! Und somit steht für den Mann sein nächstes Ziel fest…
Während der Fahrt in die Kleine Stadt muss er mehrmals überlegen, wohin er den Seat zu lenken hat. Sein letzter Besuch bei Faktor 4 liegt ja nun bereits fast fünfzehn Jahre zurück. Nach und nach fällt ihm der Weg ein, erkennt er die Straßen wieder, die Klinkerhäuser aus den 50er-Jahren, teilweise noch von ihren Eigentümern selbst hochgezogen, Stein für Stein, ohne Darlehen von der Bank. Die Auffahrten aus Waschbetonplatten, vorbei an Hühner- und Kaninchenställen, hin zu der Garage führend, wo der erste vom Ersparten geleistete Borgward stand. Und hinter den Häusern die sorgfältig angelegten Gärten mit Gemüse- und Kräuterbeeten, das Geerntete für den Winter eingelegt…
Matthias stellt den Wagen in einer Nebenstraße ab, verriegelt die Tür, geht zu dem zweistöckigen Haus, betritt das Grundstück. Sein Blick fällt auf die Hintertür und das daneben befindliche Fenster mit der blinden Scheibe und der dahinter stehenden Grünpflanze. Die Pflanze und das ungeputzte Fenster sind Hinweise darauf, dass Faktor 4 dort immer noch wohnt. Matthias tritt durch den offenen Hintereingang in einen kleinen Flur, klopft gegen die Zimmertür, wartet, und tatsächlich wird kurz darauf geöffnet, und Faktor 4 steht ihm gegenüber. Die selben markanten Gesichtszüge und die Brille, hinter der die Augen größer erscheinen. Matthias erkennt ihn sofort, der andere benötigt etwas länger, um seinen ehemaligen Bekannten zu identifizieren. „Barfly?“ wird zur Sicherheit nachgefragt, woraufhin dieser förmlich erwidert „sei gegrüßt, mein Bester. Lang ist`s her. Ich hoffe, Du kannst etwas Zeit für einen Plausch erübrigen.“ „Ja, na klar. Komm rein!“ Der Besucher betritt das Zimmer, nimmt auf dem alten Stuhl an dem wohl seit Jahrzehnten dort stehenden Tisch platz, fragt, ob Faktor 4 immer noch Star Trek-Fan sei, was von diesem bejaht wird.
„Ich werd uns mal nen Tee kochen.“ Faktor 4 verlässt das Zimmer, um sich zu der auf der anderen Seite des kleinen Flures befindlichen Küche zu begeben, kehrt einige Minuten später mit einer schmucklosen weißen Kanne zurück, die er auf dem Tisch abstellt, holt noch zwei Becher herbei, entfernt das Teenetz aus der Kanne und schenkt die Becher voll. „Was verschafft mir die Ehre Deines Besuches?“
Ohne Umschweife kommt der Gefragte zu dem Grund seines Dortseins. „Hast Du noch Kontakt zu den anderen? Glatzengirl, Birdy? Oder weißt Du, wo Mikesch jetzt wohnt?“ Faktor 4 verneint, von einigen kann er jedoch berichten. „Glatzengirl hat geheiratet, das weiß ich. Und Schieß-mich-heute-tot ist an einer Überdosis gestorben. Mit siebenundzwanzig.“ Schieß-mich-heute-tot! Wie konnte er den bloß vergessen…
Faktor 4 beobachtet sein Gegenüber. Der sitzt da, ohne von dem Tee getrunken zu haben. Seine linke Hand hat sich in der Stuhllehne verkrampft, die Rechte ist in seiner Jackentasche verschwunden. Er wirkt geistesabwesend, sein Blick entrückt.
„Warum bist Du damals fortgegangen? Es war doch eine gute Sache, für die wir uns eingesetzt haben.“ Widerwilliges Kopfschütteln. „Nein! Das ist Aberglaube. Esoterischer Unfug. Es soll die Menschen vom wahren Glauben ablenken!“ „Und Dein Glaube ist der Wahre?“ Der so Gefragte hebt beschwörend die Hände. „Es kann nur den einen Glauben geben! Gott als unseren Schöpfer anzuerkennen und unser Schicksal in seine Hände zu legen. Das…das mit dem Tank ist Teufelswerk! Und D.B. ist wie eine Schlange, die Eva dazu verführte, Adam den Apfel zu geben, um daraufhin der Sünde anheimzufallen…“
Als Matthias darauf von Faktor 4 als Antwort bekommt, dass er es für absolut wichtig halte, dass der Mensch frei wählen kann, springt er vom Stuhl auf. Seine rechte Hand fährt wieder in die Jackentasche, umklammert dort etwas. „Es gibt keinen freien Willen“, stößt Matthias hervor. „Der Mensch steht nur vor einer Wahl: wendet er sich Gott zu oder dem Teufel…“
Nachdem er diese Worte ausgesprochen hat, dreht er seinen Kopf und wird einer Ansammlung von Gegenständen ansichtig, die auf einem Bord an der Wand drapiert worden sind.
„Ach, das chinesische Teeservice. Ich habe es gestern in einem Antiquitätenladen in der Stadt entdeckt und gleich gekauft. Es bist hübsch, nicht wahr?“ Matthias schafft es, zustimmend zu nicken, macht einen Schritt auf das Regal zu, nimmt eine der Tassen in die Hand. „Stell Dir vor: in dem Geschäft arbeitet diese Georgina. Oder vielleicht gehört ihr auch der Laden…“ „Hm? Was hast Du gerade gesagt? Georgina?“ „Ja, diese Georgina…Taubenfuß? Eine wirklich tolle Frau! Sie hat so eine kraftvolle Ausstrahlung.“
Matthias stellt das Geschirrteil zurück an seinen Platz, bestätigt „ja, das finde ich auch… Ich würde sie gerne einmal besuchen, um ein wenig mit ihr zu plaudern.“ Daraufhin beschreibt Faktor 4 ihm, wo sich das Antiquitätengeschäft befindet, äußert die Überlegung, ein weiteres Mal bei ihr vorbeizuschauen. „Vielleicht gibt es ja für mich die Möglichkeit, auch mal den Tank auszuprobieren…“ „Nein, das denke ich nicht.“ Matthias steht dort, den Gegenstand, der sich die ganze Zeit in seiner Jackentasche befunden hat, auf Faktor 4 richtend. Dieser linst ihn an, schielt über die Ränder seiner Brille, lächelt dabei ein bisschen einfältig, vielleicht das ganze für einen Spaß haltend, und dann gibt der Gegenstand einen gedämpften Knall von sich. Faktor 4 sackt zur Seite weg, immer noch mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Seine Brille ist verrutscht, und aus dem schwarzen Loch in seiner Stirn beginnt Blut zu fließen, am Nasenbein entlang hinein in das rechte geöffnete Auge.
Matthias steckt die Waffe – eine Beretta 92 mit Schalldämpfer – in die Tasche seiner Jacke zurück, überlegt kurz, die Fingerabdrücke von den Gegenständen zu entfernen, die er berührt hat, doch wozu? Er fühlt sich sicher darin, dass niemand seine Spuren verfolgen wird. So setzt der Mann seinen Weg fort, fest davon überzeugt, dass er seine Tat im Namen Gottes ausgeführt hat, in Auftrag gegeben von dessen selbsternannten Stellvertreter, dem Allmächtigen Baumeister aller Welten.
Es ist früher Abend, als Matthias in das belebte Einkaufsviertel hineinfährt, seinen Wagen in einer Parklücke abstellt und sich auf die Suche nach dem Antiquitätengeschäft begibt. Es ist lange her, dass er hier gewesen ist, jedoch hat sich so gut wie nichts verändert:Imbissbuden, Tattooshops, dazwischen Geschenkeläden. Und diese Menschen, die alle den Eindruck erwecken, sie seien auf der Suche, nach irgendetwas wichtigem, einem Geheimnis oder dem Wunder, das, was ihrem Leben den erwünschten Sinn geben würde. Matthias ist angewidert und fasziniert zugleich. Alles fehlgeleitete Kreaturen, denkt der Mann sich, die Waffe umklammert haltend, während er sich seinem Ziel nähert. Aber schon bald, bald würden sie auf den richtigen Weg geleitet werden, fort von den falschen Propheten und ihren Versprechungen und Einflüsterungen…
Abrupt bleibt Matthias stehen, sieht das Schaufenster, erblickt die darin ausgestellten Gegenstände, den Kerzenleuchter, die Eule, den Drudenfuß, und weiß im selben Moment, dass dies das Geschäft der Georgina sein muss. Mit vor Wut und Entschlossenheit fest aufeinandergebissenen Zähnen schreitet er zur Tür, drückt die Klinke herunter, rüttelt daran, doch die Tür ist verschlossen. „Verdammt noch eins!“ ‚Morgen bin ich wieder da‘ steht auf dem in die Scheibe gehängten Pappschild. „Na gut, na fein“, zischt der Mann zwischen seinen zusammengepressten Zähnen hervor, während er seine Hände mit einem Stofftaschentuch abwischt, als meine er, sie von irgendwelchen Bakterien oder gar Viren befreien zu müssen. „Dann sehen wir uns morgen!“
Gleich nach der Rückkehr in die Mietwohnung setzt Matthias Mr. ABAW über den Verlauf der Geschehnisse in Kenntnis. …
Mr. ABAW legt den Hörer auf die Gabel, wendet seinen Blick zu den Fernsehern. Auf fast allen Sendern sind die Präsidenten der G8-Staaten zu sehen, Reden haltend, die in der Übersetzung des jeweils ausstrahlenden Landes untertitelt sind. Alle diese Männer sprechen von Vergeltung, und dass sie die Freiheit ihres Landes verteidigen werden. Mr. ABAW greift nach der im Aschenglas abgelegten Zigarre, eine Il Moro, setzt sie mit einem Streichholz unter Glut. In dem Moment wird an die Tür geklopft. „Herein.“ Einer der drei langjährigen, eng vertrauten Mitarbeiter betritt den Raum. „Es ist Besuch für Sie da, Sir. Ihr Sohn möchte Sie sprechen.“ „Danke, Hans.“ Der so Angesprochene zieht sich zurück, und an seiner Stelle kommt ein anderer Mann herein, geschätzt Mitte Dreißig, vielleicht aber auch schon älter, jugendlich wirkend, jedoch ungepflegt. Unschlüssig bleibt er in der Mitte des Raumes stehen, schaut auf die Fernsehwand, dann noch kurz zu dem Altar hinüber. „Hallo, Vater.“ Den blickt er nicht an. „Grüß Dich, Elias. Was führt Dich zu mir?“ „Ich wollte Dich fragen, ob Du mir bis Anfang nächster Woche vielleicht 100 Euro borgen könntest. Ich gebe sie Dir dann…“ „Du wolltest?“ platzt es da aus dem alten Herrn heraus, „vielleicht? Himmelherrgott, was für einer Sprache bedienst Du Dich denn da? Das ist doch wischiwaschi!“ Mr. ABAW erhebt sich, geht zu einem Schrank und öffnet die darin befindliche Bar, hält seinem Sohn fragend eine Flasche schottischen Whisky entgegen, die kopfschüttelnd abgelehnt wird. So schenkt der Mann sich alleine ein, nimmt einen Schluck. „Wann hast Du Susha zum letzten Mal gesehen?“ will er nun von Elias wissen, und bekommt „schon länger nicht mehr“ zur Antwort. „Und wo sich ihre – eure Tochter aufhält, weißt Du auch nicht, oder?“ Kopfschütteln, dann, aufbegehrend: „Du lässt die Finger von ihr, klar?“ Der Vater hebt abwehrend seine Hände, in der linken das Whiskyglas haltend. „Von Susha will ich nichts. Sie ist ruhiggestellt. Mich interessieren nur die anderen…“ „Die lässt Du gefälligst auch in Ruhe!“ Jetzt hat Mr. ABAW aber die Faxen dicke, sich von seinem nichtsnutzigen Sohn Vorschriften anhören zu müssen. „Was scherts Dich?“ fletscht er zurück, „wenn Du wenigstens von Deiner Kunst leben könntest…“ „Ich verkauf ja Bilder. Aber ich muss mir auch neue Leinwände und Farbe kaufen, und dann die ganzen laufenden Kosten…“ „Jajaja.“ Mr. ABAW ist zum Schreibtischstuhl gegangen, über dessen Lehne sein Jackett hängt, und entnimmt einer der Innentaschen eine Briefbörse. „Hundert, hast Du gesagt?“ „Ja.“ Lecken der Oberlippe. Nur nicht zu schnell zugreifen! Der Schein wechselt den Besitzer und verschwindet in der Arschtasche des neuen Besitzers. „Und bei Dir laufen die Geschäfte?“ „Was? Ja, doch, ja. Kann nicht klagen, nein.“ „Gut zu hören. Dann mach ich mich auch mal wieder auf den Weg zurück. Hab noch ne Menge aufm Plan heute.“ „Ja, lass Dich nicht aufhalten. Geh nur Deiner Wege, geh!“ …
Ein Wind hat eingesetzt, der dunkle Wolken herbeischiebt, als Alexander sein Auto vor dem Hof parkt. Georgina und er steigen aus. „Ein Gewitter zieht heran“, verkündet Georgina Ponee, „ich kann es spüren.“ „Es wird auch Zeit, dass Regen kommt“, bestätigt ihr Begleiter. „Der Boden ist schon ganz ausgetrocknet.“ Beide gehen sie an dem Wohnwagen und dem daneben stehenden Auto vorbei, einem dunkelblauen BMW. „Ob Morgen-ist-eh-alles-zu-spät schon da ist?“ Georgina schüttelt ihren Kopf. „Das wird der Wagen von diesem AlDee sein.“
Sie sehen Khalil auf der Veranda stehen und ihnen zuwinken. „Ich grüße euch! Wenn ihr wollt, setzt euch vor den Bauwagen. Habt ihr Hunger?“ „Wir waren eben beim Italiener essen.“ „Was trinken?“ Die Beiden entscheiden sich für Mineralwasser, und etwas später sitzen die drei Gefährten auf den Plastikstühlen an der Deichsel. Ein Fasan krächzt hinein in die einsetzende Dämmerung.
„Ich denke, Morgen-ist-eh wird auch gleich eintreffen, und dann können wir zu Mikesch fahren.“ „Da bin ich ja echt gespannt.“ Georgina holt einen Beutel mit Tabak aus der Innentasche ihrer Wildlederjacke und beginnt, sich eine Zigarette zu drehen. „Du rauchst immer noch Selbstgedrehte?“ stellt Khalil fest und Georgina entgegnet „wieder. Vor…zwei Jahren oder so hab ich wieder angefangen. Aber nur abends.“ „Ich hol Dir einen Aschenbecher.“ Die Frau entzündet ihre Zigarette, inhaliert den Rauch. „Du bist so still, Alex.“ Alexander greift zum Wasserglas, nimmt einen Schluck. „Ja. Ich bin einfach nur froh darüber, euch beide wieder um mich zu haben.“ „Erst lasst ihr Kerle euch jahrelang nicht blicken, und dann kommen sie alle auf einmal in meinen Laden gestürmt…“ „Es muss anscheinend immer erst was im Argen liegen“, sinniert Alexander, „so wie damals…“
„Warum bist Du damals überhaupt zu uns gestoßen?“ „In den Keller? Ich weiß nicht mehr. Hatte ich in der Geschichte davon erfahren?“ „So, hier ist der Aschenbecher. Redet ihr von dem Keller? Vor ein paar Tagen war ich im Traum dort, aber nur ganz kurz. Dann wechselte der Traum zu unserem Parzellengebiet.“ „Ich war erst gestern wieder in unserer Traumwelt“, berichtet da Georgina. „Das sieht mittlerweile ganz schön wüst da aus.“ „Ja, auch die Schrebergärten sind zum Teil völlig verwildert.“ Khalil sinnt kurz nach. „Ich bin Susha dort begegnet. Und Hübsch-Dich-zu-sehen…“ „…Womit Du natürlich ihre Traumkörper meinst“, weiß sich Alexander an das Gespräch am Samstag zu erinnern.
„Wieso die Geschichte gelesen?“ hakt Georgina nach, „das ist doch erst später geschrieben worden!“ Dabei schaut sie Khalil an, doch der zuckt lediglich mit den Schultern.
Der Wind ist stärker geworden, zerrt an den Baumkronen. Donnergrollen ist zu vernehmen, es wird nun schnell dunkel. „Wir gehen besser rein“, spricht Khalil, und so erheben sich die Drei und begeben sich in das Innere des Wagens. Kaum haben sie sich dort niedergelassen, meldet das Handy von Khalil einen Nachrichteneingang. „Es ist von Morgen-ist-eh. Er schreibt, dass er noch auf der Arbeit zu tun hat und daher etwas später kommt.“ Khalil legt den Apparat auf den Tisch zurück. „Ihr bleibt noch beim Wasser?“ „Was macht denn dieser Morgen-ist-eh beruflich?“ will Georgina wissen. „Alle möglichen handwerklichen Aufträge. Hauptsächlich aber Haushaltsauflösungen. Manches, was er dort findet, verkauft er auf Flohmärkten.“ „Ist das nicht hauptsächlich Sperrmüll?“ „Letztens hat er bei einer Wohnungsauflösung eine Sammlung von Nazisachen gefunden – Orden, Dolche mit Hakenkreuz und SS-Runen, eine Uniform – es gibt wohl genug Leute, die so etwas kaufen.“ „Hast Du so etwas auch in Deinem Laden?“ fragt Alexander, was Georgina verneint. „Schon aus Prinzip nicht.“ Durch die Scheiben sind nun Blitze am wolkenverhangenen Abendhimmel zu sehen. In immer kürzeren Abständen folgen ihnen Donner. Da klopft es, die Tür wird geöffnet und herein tritt ein hagerer Mann in einem Overall. Auf seinem Kopf trägt er einen breitkrempigen Strohhut und ein graumelierter Vollbart ziert sein Gesicht. „Ja hallo alle zusammen! Ist leider etwas später geworden, aber der Auftrag konnte nicht warten. Von mir aus können wir auch gleich los.“ Khalil ist auf den Mann zugegangen und begrüßt ihn mit einem kräftigen Händedruck. „Schön, dass Du gekommen bist. Darf ich vorstellen: Georgina Ponee.“ Der Mann geht gemessenen Schrittes auf die auf der Bettstatt Sitzenden zu, ergreift ihre Hand, deutet einen Handkuss an. „Es ist mir eine Freude und eine Ehre, Sie endlich persönlich kennenzulernen.“ Georgina, reichlich perplex, schaut diesen vor ihr stehenden Typen an, der sie ein wenig an George in jungen Jahren erinnert.
Morgen-ist-eh hat sich Alexander zugewandt, ergreift die ihm dargereichte Hand. „Ich freue mich, Dich nach so langer Zeit wiederzusehen.“ „Ja, ich auch. Das war schon eine außergewöhnliche Aktion von euch gewesen…“ Morgen-ist-eh winkt ab. „Das bisschen Gezupfe auf dem Bass. Viel wichtiger waren meines Erachtens die Backgammonspiele.“ „Backgammon?“ fragt Georgina nach. „Ja, ein schönes Spiel. Eine Mischung aus Würfelglück und dem richtigen Setzen der Steine.“ „George und ich haben auch gespielt…Dame war es, wenn ich mich recht erinnere. Es ist gut für das Gleichgewicht der Kräfte…“ „Richtig! Weil spielen negative Gedanken verhindert, was sich wiederum auf den Äther auswirkt, da dieser weniger negative Aufladung erfährt respektive sich in dieser Zeit reinigen kann.“ „Haben Sie das auch aus der…Geschichte?“ „Nein, das weiß ich vom Mikesch, dem Treckernomaden.“
Da dringt ein dumpfer Knall an ihre Ohren, was erst für ein weiteres Gewitterdonnern gehalten wird, doch gleich darauf sehen sie Feuer vom vorderen Teil des Grundstückes auflodern. „Da ist ein Blitz eingeschlagen!“ ruft Georgina aus, und Khalil stürmt nach draußen, die anderen drei hinter ihm her. Geistesgegenwärtig greift sich Morgen-ist-eh-alles-zu-spät den am Stützbalken hängenden Feuerlöscher. „Es ist der Wohnwagen! Der Wohnwagen brennt!“ Flammen lodern empor, züngeln bläulich, bringen innerhalb von Minuten die Plaste des Wohnwagens zum schmelzen.
„Vorsicht! Geht nicht zu nahe ran“, warnt Khalil. „Ich weiß nicht, ob sich in dem Wohnwagen eine Gasflasche befindet.“ „Ist dieser AlDee noch da drin?“ „Sein Auto steht da nicht mehr.“ „Hoffentlich greifen die Flammen nicht auf die Scheune über!“ „Nein, der Wind weht vom Kanal her. Er drückt die Flammen Richtung Wohngebäude. Aber das steht zum Glück zu weit weg.“ „Wo habt ihr denn eure Autos geparkt?“ will Khalil wissen, was Alexander augenblicklich lossprinten lässt, am brennenden Wohnwagen vorbei. In diesem Augenblick taucht Johann auf, marschiert an der Gruppe vorbei und will seinen Feuerlöscher aktivieren, doch da passiert nichts. „Johann, bleib von den Flammen weg! Wenn da was explodiert!“ „Jojojo. So ein Mist. Warum brennt das Ding denn?“ „Wir wissen es nicht. Vielleicht ist ein Blitz eingeschlagen.“ Georgina hat ihren Blick zum Himmel gerichtet. „Das Gewitter ist vorübergezogen. Und der Wind lässt auch nach.“ Vereinzelt fallen nun dicke Regentropfen nieder. Das Feuer findet weiterhin Nahrung an dem Holz der Möbel, dem Bettzeug, dem Teppichboden. Und da wird jemand auf der anderen Seite mit einem Feuerlöscher tätig, was nun auch Morgen-ist-eh aktiv werden lässt. Bald sind von der Feuersbrunst nur noch qualmende Glutnester übrig.
„Wir haben den Knall gehört, und vom Küchenfenster habe ich den Wohnwagen in Flammen aufgehen sehen…“ Der Nachbar vom Haus gegenüber steht da, neben ihm Alexander. „…Da bin ich sofort raus, bin aber nicht zu nah ran. Hab nur gesehen, dass AlDees Wagen weg ist.“ „Wir vermuten, dass ein Blitz eingeschlagen ist.“ „Gerade, als ich rausgekommen bin“, erzählt der Nachbar weiter, „sehe ich, wie ein blauer Opel Zafira wendet und davonfährt.“ „Wem ist AlDee denn da auf die Füße getreten?“ fällt Johann dazu ein, was Khalil den Kopf hin- und herbewegen lässt. „Nee, ich denke eher, dass dieser Anschlag mir gegolten hat. Es wurden nur die Wagen verwechselt…“ „Dann wird es Zeit, Dich in Sicherheit zu bringen“, mahnt Morgen-ist-eh an. „Vielleicht bemerkt der Attentäter seinen Irrtum und kommt noch einmal zurück.“ „Was ist mit Dir, Johann? Kommst Du mit?“ „Ich bleib hier und verteidige den Hof!“ „Und womit, wenn ich nachfragen darf?“ „Ich hab noch die Jagdflinte von meinem Vater. Damit kriegt der eins auf den Pelz gebrannt!“ „Soll ich die Polizei rufen?“ fragt der Nachbar nach, was mit den Worten „das würde in diesem Fall keinen Sinn ergeben“ einstimmig abgelehnt wird.
Kopfschüttelnd schaut der Mann den in der Dunkelheit kleiner werdenden Rücklichtern der beiden Autos nach, sich fragend, mit was für Leuten er es da eben zu tun gehabt hat. Und dann sucht er schleunigst das Haus auf, da der Regen stärker wird.