Being in Dreaming 1

Georgina, George und Khalil sitzen im Wohnzimmer von Khalils Wohnung. Sie haben, Sitzkissen als Unterlagen nutzend, auf dem Teppichboden platzgenommen. Es ist früher Abend, draußen ist es bereits dunkel. Die einzige Lichtquelle im Raum ist eine Kerze. Die drei haben eine Zeitlang darüber debattiert, wie ihre Traumwelt aussehen könne. Nun halten sie ihre Augen geschlossen und versuchen, sich in einer von ihnen erdachten Welten zu begegnen. Georgina sieht einen Wald. Dicht an dicht stehen die Bäume, durch die Wipfel flirrt Sonnenlicht. Sie vernimmt den Ruf eines Vogels, vielleicht ist es ein Eichelhäher. Georgina will George und Khalil finden, ruft ihre Namen. Sie geht einen Weg zwischen den Bäumen verlaufend entlang. Dabei schaut sie auf ihre Füße. Ihre Füße sind nackt. Da weiß Georgina, dass sie sich in einem Traum befindet. Sie öffnet die Tür zu einem Raum, der so aussieht wie der in Khalils Wohnung. Überall verteilt stehen entzündete Kerzen. Auf dem Bett sitzt Khalil, lacht sie an. „Schön, dass Du in meinen Traum gefunden hast! Hast Du Lust, Dich auszuziehen?“ Georgina überrascht diese Frage, ist aber Khalil deswegen nicht böse. „Weißt Du, wo George ist?“ „Er wird in seiner Traumwelt sein. Wir können ja versuchen, ihn zu finden.“ „Dann komm.“ Georgina hält ihm ihre rechte Hand hin. Khalil erhebt sich von dem Bett; er trägt einen Poncho und ist ebenfalls barfuß. „Ich bin auf jeden Fall gespannt“, hört Khalil sich sagen. Es ist, als würde er seine Stimme im Kopf spüren, genau wie die Stimme von Georgina. „Ja, ich auch.“ Und da sieht Khalil, wie die Frau sich in ein Vogeltier, er meint eine Taube zu erkennen, verwandelt und in den Flur hinausfliegt. Von dort aus gelangt Khalil in den Traum von George. Es ist eine Reparaturwerkstatt. George steht dort, in einen Blaumann gekleidet, und lacht ihm entgegen, so wie er in seinem Traum Georgina angelacht hat.                       „Was ist das denn hier?“ „Eine Reparaturwerkstatt für Motorräder. Manchmal habe ich es mir in der Realwelt vorgestellt, so eine Schrauberwerkstatt zu haben, aber mir fehlte das Geschick dazu. Hier kann ich es…“ Khalil schaut sich um, zeigt sich beeindruckt. „Hätte ich jetzt gar keinen Bezug zu, aber: beeindruckend. Habe ich nicht mit gerechnet.“ „Und Du?“ wird er von George gefragt. „Was…ich?“ „Was hast Du Dir erträumt?“ „Ich? Ich habe mich in mein Zimmer geträumt und mir vorgestellt, dass Georgina hereinkommt. Es waren überall Kerzen aufgestellt..“ „Du wolltest ihr an die Wäsche!“ Diese direkte Aussage macht Khalil kurz verlegen, doch dann stimmt er George unumwunden zu. „Apropos: wo ist sie?“ „Gerade eben noch… sie hat sich in einen Vogel verwandelt, und ich bin ihr hinterher gegangen, und bin hier gelandet, bei Dir.“ „Dann komm, lass sie uns suchen.“ „Aber dann musst Du Deinen Traum hier verlassen!“ „Ich war lange genug hier. Zeit, was Neues auszuprobieren“ spricht George, und wandelt sich ebenfalls um, in eine Saatkrähe, fliegt los, und landet in einem Badezimmer. Dort sieht er Georgina auf einer Waschmaschine sitzen und sich eine Zigarette drehen. Er fliegt zu einer gekachelten Fensterbank und lässt sich neben der dort stehenden Yuccapalme darauf nieder, sich scheinbar teilnahmslos das Gefieder putzend. Khalil betritt den Raum, lässt Wasser in die Badewanne ein, streift sich den Poncho ab, lässt ihn auf den gefliesten Boden fallen, entkleidet sich weiter. Georgina schaut zu, macht dabei einen interessierten Eindruck. Und was George denkt, fühlt oder meint, ist nicht zu erkennen, und die Krähe gibt es auch nicht preis. Khalil steigt in die mit Badewasser gefüllte Wanne, Georgina entledigt sich ebenfalls ihrer Kleidungsstücke und setzt sich auf ihn, umfasst seine Schultern, reibt sich an ihm, beginnt auf einmal zu lachen. „Na, was ist? Das wolltest Du doch. Und jetzt wird er nicht hart?“ Khalil betrachtet diese wunderschöne Frau, ihr von an den Seiten herabfallendem schwarzem Haar eingerahmtes Gesicht, die Augen, wie irisierendes Perlmutt, die Farbe von grau in blau und wieder zurück wechselnd. „Ich spüre Dich nicht“, hört er sich antworten, „weil… ich fühle nichts.“ „Weil alles in unseren Köpfen stattfindet, Du Dummkopf“, antwortet ihm Georgina, und drückt ihn unter Wasser. Khalil öffnet die Augen, sieht George und Georgina, die ebenfalls aus der Traumwelt zurückgekehrt sind. Verlegen schaut Khalil zu der Kerze, hört Georgina gurrend lachen. „Das war doch abgefahren, oder?“ George stimmt ihr mit einem Kopfnicken zu, Khalil wendet seinen Blick wieder zu den Beiden hin. „Ihr…ihr habt euch in…Vögel verwandelt. Wie ist das möglich?“ „Ganz einfach“, antwortet Georgina ihm, „weil ich es so wollte.“ George sagt, dass er sich durch etwas von außen kommend aufgefordert fühlte. „Dann müssen wir uns auch passende Namen geben“ schlägt Georgina vor. „Für mich wähle ich Georgina Taubenfuß. Und Du… Du heißt jetzt George Rabenvater.“ „Und was ist mit mir?“ „Na, Du bist weiterhin Khalil“, bekommt er Antwort. „Khalil Samiri, wie vorher auch. Vielleicht bist Du ja beim nächsten Mal so weit, Dich in ein Traumtier zu verwandeln.“ „Und wie bist Du auf ein Badezimmer gekommen?“ will George wissen. „Davor war ich in einem Wald. Dann fiel mir ein, dass wir uns ja ein Haus oder eine Wohnung erträumen wollten.“ George meint, dass er sich eine Waldhütte auch gut vorstellen könne, vielleicht mit einem Floatingtank darin. Auf die Frage, was dies sei, bekommt Khalil von Georgina eine Erklärung, die ihn fragen lässt „um sich darin in dem Traum in einen weiteren Traum zu begeben?“ George denkt darüber nach, stimmt Khalil schließlich zu. Unterdessen hat sich Georgina etwas überlegt. „Wir müssen Aufzeichnungen hinterlassen, wenn jemand von uns sich alleine in die Traumwelt begibt und etwas Neues erschafft.“ „Ist das denn nicht für die Anderen auch da?“ fragt Khalil nach. „Nur das, worin wir uns alle drei befunden haben.“ „Was wäre das bis jetzt?“ „Das Badezimmer“, sagt George, und Khalil stimmt ihm zu. „In meinem Wohnzimmer waren nur ich und Georgina… Und den Wald kennt nur sie.“ „Und meine Schrauberwerkstatt hast nur Du gesehen.“ „Was für eine Schrauberwerkstatt?“ will Georgina wissen, woraufhin George ihr davon erzählt. „Du sagtest zu mir, dass Du dort lange genug gewesen bist. Wie meintest Du das?“ „Ach…“ George winkt ab. „Es können bestimmt einige Stunden gewesen sein. Ich kann es nicht genau sagen…“ Nun fällt auch Georgina auf, dass ihr der Aufenthalt in dem Wald ziemlich lange vorgekommen war. Lediglich Khalil kam der Traum nur einige Minuten vor, so viel Zeit, wie nach dem Blick auf die Uhr an der Wand angegeben worden ist. Sie einigen sich darauf, zukünftig in der Traumwelt auf Uhren zu verzichten. „Also, wann treffen wir uns wieder?“ Khalil schlägt gleich morgen vor, er hat die nächsten Tage frei. George und Georgina jedoch müssen arbeiten, und so wird sich auf den kommenden Montag geeinigt, wieder um die gleiche Uhrzeit. George und Georgina verabschieden sich, Khalil holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank, sinniert über das unterschiedliche Empfinden von Zeit während ihres Traumes nach.         Dabei kommt ihm der Gedanke nachzurechnen, wie spät es jetzt in Neuseeland ist. Er erinnert sich zu wissen, dass die beiden Inseln gewissermaßen zehn Stunden ,Vorsprung‘ gegenüber der europäischen Zeitzone haben. Die Uhr in seinem Wohnzimmer zeigt zehn Uhr abends. Demzufolge ist es in Auckland acht Uhr morgens am darauffolgenden Tag. ‚Sind die Menschen, die dort leben, also zehn Stunden älter als die hier Geborenen?` fragt sich Khalil und muss gleich darauf über diese selbst erdachte Scherzfrage lachen. Vor zwei Jahren ist Khalil nach Neuseeland gereist. Zuvor weilte er auf Viti Levu, der Hauptinsel der Fidschis, dies auf Einladung eines alten Schulfreundes, der dort im Begriff war, eine Zweigstelle vom Honig verarbeitenden Betrieb seines Vaters zu errichten. Vier Wochen blieb Khalil dort, unternahm Wanderungen in die Berge und den Regenwald, besuchte gemeinsam mit seinem Freund den Sri Krishna Kalya-Tempel in Lautoka, wo sie zusammen mit den Gläubigen rituelle Tänze durchführten. Hernach aßen sie auf Bänken an Tischen sitzend eine kostenfrei ausgegebene Mahlzeit aus Reis und Gemüse. In Lautoka gab es auch ein Kino. Dort wurde gerade der aktuell angelaufene Film ‚the Doors‘ von Oliver Stone gezeigt. Die beiden Freunde aßen vorher jeder ein Stück Haschischkuchen, dann fuhren sie mit dem Pickup von Khalils Freund in den gut drei Kilometer von ihrer Behausung entfernt liegenden Ort. Während der Film in dem gut besuchten Vorführraum lief, begann die Droge ihre Wirkung zu zeigen und bescherte den Beiden ein eindrucksvolles Erlebnis. In einer Szene trifft Jim Morrisson Andy Warhol. Dieser zeigt Morrisson ein goldfarbenes Telefon, sagt, dass er damit „zu Gott telefonieren“ könne, oder so ähnlich. Morrisson nimmt Warhol daraufhin die Brille ab und zerbricht sie, so glaubt Khalil sich zumindest zu erinnern.                                                   Als er in Auckland ankam, suchte er sich als erstes ein Backpackerhotel und darauf einen Pizza Hut auf, bestellte dort eine Thunfischpizza und ein Steinlager Bier. Gerade als Khalil die großzügig bemessene Pizza anschnitt, betrat ein auffällig gekleideter Typ den Gastraum, kaufte sich am Tresen eine Flasche Beck`s, und setzte sich an den Tisch schräg gegenüber. Er trug domestosgebleichte Jeans, eine Jeansjacke und Doc Martens. An der Jacke waren verschiedene Aufnäher angebracht. Khalil erkannte das Anarchiezeichen, das Logo der Dead Kennedys, die Schwarze Sonne und eine Swastika, was in Neuseeland wohl nicht untersagt war, damit in der Öffentlichkeit herumzulaufen. Der Typ prostete ihm zu, fragte „bist Du Deutscher?“, was Khalil entgegen seiner sonstigen Gepflogenheiten – er machte sich nichts aus Nationenzugehörigkeiten – bejahte. Und da begann der Typ ihm einen Vortrag zu halten über Illuminaten und andere Geheimlogen, die gemeinsam mit den Rothschilds sowohl die Presse als auch das internationale Bankenwesen kontrollieren würden und so den Weg ebneten für eine Neue Weltordnung. Dann erzählte er von der Vrilgesellschaft, die sich 1919 in Berchtesgarden gründete, und die mittels telepathischer Kräfte Botschaften von Bewohnern des Aldebaraan-Systems erhielten, um daraus eine Jenseitsflugmaschine zu bauen. Während des Dritten Reiches wurden Flugversuche mit den als Vrilmaschinen oder Haunebus bezeichneten untertassenförmigen Flugschiffen unternommen, die jedoch nicht zum Einsatz kamen, da das als Weltraumstadt geplante Peenemünde 1944 bombardiert wurde. Nach Ende des Krieges wurden die Wissenschaftler, die an diesem Geheimprojekt beteiligt gewesen waren, in die USA gebracht. Unter ihnen befanden sich Victor Schauberger und Wernher von Braun. Zum Ende des Krieges konnten einige der Mitglieder der Vrilgesellschaft sowie der SS-Elite Schwarze Sonne nach Neuschwabenland in die Antarktis fliehen, um dort einen Stützpunkt für Flugscheiben zu errichten, die sie zum Mond, zum Mars, und schließlich nach Aldebaran bringen sollten, um sich mit den dort lebenden lichten Gottmenschen, den Ariern, zu vereinen. Der Typ hatte sein Bier ausgetrunken, stand auf und verabschiedete sich mit den Worten „ich treffe gleich noch einen Kontaktmann, der etwas über die Bilderberger zu berichtet weiß.“ Wäre es Khalil während dieser denkwürdigen Begegnung möglich gewesen, etwas von seinen Träumen und dem darin vorkommenden Doppelgänger zu berichten, hätte der Typ in dem ein paar Jahre später von ihm herausgebrachten Buch einige andere, auch durchaus interessante Gedanken unterbringen können… Von Auckland ging es auf dem Schienenweg mit dem Silverfern nach Wellington, dort mit der Fähre übergesetzt zur Südinsel. In Dunedin verbrachte Khalil ein paar Tage bei der WG von zwei Studenten, die er in Lautoka kennengelernt hatte. Der letzte Punkt seiner Reise war der Ort Bluff, wo er das Muschelmuseum besuchte. Der Museumswärter, ein einarmiger ehemaliger Walfänger, erklärte ihm anhand von einem Skelett, woher der Christusfisch seinen Namen hatte. Beim Schütteln des Skeletts klapperten in seinem Inneren drei kleine Knochen, die, mit etwas Phantasie, die Form von den Nägeln besitzen könnten, mit denen Jesus von Nazareth von den römischen Legionären an das Kreuz genagelt worden war. Bevor Khalil das Backpackerhotel des Ortes aufsuchte, setzte er sich mit einer Dose Steinlager auf die Felsen des kleinen Leuchtturms, während Meereswellen an „worlds end“ schäumten. Nach der Südspitze von Neuseeland kommt nur noch Wasser, und irgendwann beginnt die Antarktis. Am übernächsten Tag nahm Khalil den Flug zurück, und begann, wieder in Deutschland, in dem Heim für gehandicapte Menschen zu arbeiten, wo er vor Antritt der Reise einen Vertrag unterschrieben hatte. Er hat sein Bier ausgetrunken, überlegt kurz, alleine nochmal in die Traumwelt zurückzukehren, entscheidet sich jedoch dazu, bis zum verabredeten Treffen mit George und Georgina zu warten.