Die zwei Männer stehen vor Georgina Ponees Antiquitätengeschäft. „Der Untergang des Abendlandes“ liest der eine den Titel des Buches, das im Schaufenster drapiert ist. „Das hätte die kleine Hexe wohl gerne.“ „Sie scheint nicht da zu sein“, bemerkt der andere und deutet auf das an der Tür hängende Schild. „Ich hole eben Werkzeug.“ Hans begibt sich zu dem in der Nähe abgestellten Opel Zafira, kehrt mit einer schwarzen Ledertasche zurück. „Stell Dich bitte so vor die Tür, dass ich von Dir verdeckt bin und tu so, als würdest Du auf Jemanden warten.“ Parwis leistet den Anweisungen folge und stellt sich mit dem Rücken zu dem tätig werdenden Mann, schaut zwischendurch auf die am linken Handgelenk befindliche Armbanduhr. Keine fünf Minuten später hört er ein „fertig“ und dreht sich um. Hans hat die Tür geöffnet, die beiden Männer betreten den Laden.
„Matthias wird auf jeden Fall hier gewesen sein“, äußert sich Hans. „Schauen wir uns mal genauer um.“ Während Parwis zwischen den Gängen umherstreift, nimmt Hans den Fußboden in Augenschein. „Hier, das könnten Schleifspuren sein, vielleicht Abrieb von Schuhsohlen.“ Hans nähert sich den Steinstufen, die zu Georginas Wohnung führen. Er geht davor in die Kniee, erblickt auf der mittleren Stufe einen kleinen Fleck. „Das sieht aus wie getrocknetes Blut.“ „Irgendetwas ist hier vorgefallen“, bemerkt Parwis, was Hans mit einem wortlosen Kopfnicken bestätigt. Energisch schiebt er den Vorhang beiseite und betritt den Küchenraum, gefolgt von Parwis. „Sie hat Besuch empfangen.“ Hans deutet auf die zwei Teller, Tassen, Löffel und Gläser im Spülbecken, fasst auf die Herdoberfläche. „Und das ist noch nicht lange her.“ „Matthias hat den Laden betreten, aber ihn nicht mehr verlassen“, mutmaßt Parwis. „Es gibt keinen Hinterausgang. Und zur Vordertür werden sie ihn kaum herausgeschafft haben.“ Hans schaut in die Schlafkammer, das Badezimmer, öffnet die Tür, die in den Keller führt, betätigt den Lichtschalter. Wortlos steigen sie die Treppe hinab. In dem hinteren Raum finden sie den Leichnam von Matthias. Mit gesenktem Kopf stehen die beiden Männer da, die Hände verschränkt zum stummen Gebet. „Er war ein guter Mensch.“ „Ja, und ein tapferer Krieger.“ „Was machen wir mit dem Körper?“ „Ich denke, wir lassen ihm eine Feuerbestattung zukommen.“ Sie ziehen den Toten die Treppe hinauf, gönnen sich ein Glas Wasser aus dem Hahn der Spüle, bevor sie ihn in den Verkaufsraum tragen und dort ablegen. Während Hans ein weiteres Mal zu dem Fahrzeug geht, beginnt Parwis damit, Bücher zu zerreißen, Schubladen aus Schränken und Schreibtischen zu ziehen, Stühle kaputtzubrechen.
„Hier. Er ist noch gut halbvoll…“ Hans schwenkt einen Benzinkanister, schraubt ihn auf und schüttet den Inhalt auf den Haufen aus zerbrochenem Möbelholz und zusammengeknüllten Buchseiten, legt eine Spur bis zur Eingangstür. „Hast Du Streichhölzer dabei?“ „Ich habe welche in der Küche liegen sehen.“ Hans stellt den leeren Kanister ab, greift sich das Buch aus dem Schaufenster, wirft es hinzu. „Schade, dass der ‚Hexenhammer‘ sich nicht hier befindet. Der hätte sich in der Auslage gut gemacht.“ Lachend stimmt Hans Parwis zu. Er öffnet die Tür einen Spaltbreit. „Nicht viel los.“ Das ist das Signal für Parwis, eines der Hölzer anzureißen und auf das Benzin zu werfen. Ohne den weiteren Verlauf abzuwarten beeilen die zwei Männer sich, von dem Ort des Geschehens fortzukommen. Als sie in das Auto steigen, ist noch nichts davon zu erahnen, dass dort im Inneren des Gebäudes alles den Flammen zum Opfer fallen wird…
Zeitgleich mit Hazrat, der ebenfalls von einem Auftrag zurückkehrt, treffen sie bei ihrer Unterkunft ein. Hazrat war als Dritter zu ihnen gestoßen, da war er Anfang Mitte Zwanzig gewesen. Manuel lernte ihn bei einem Besuch der Moschee kennen, in der ein alter Bekannter von ihm, der in den 70er Jahren zum Islam übergetreten war, einen Vortrag hielt über muslimische Reformbewegungen. Hazrat hatte seine Ausbildung zum Bürokaufmann abgeschlossen, war aber nicht daran interessiert, in seinen Ausbildungsbetrieb übernommen zu werden, weil da, wie er begründete, „noch altes Nazigedankengut vorherrscht.“ Manuel fragte ihn nach den Vorstellungen hinsichtlich seines weiteren Lebensweges, und als er Hazrat von seinem Projekt erzählte, zeigte der junge Mensch sich begeistert.
Die anfänglichen Spannungen zwischen Hazrat und Parwis und auch Hans legten sich bei ihren Schießübungen und den gemeinsamen Gebeten. „Es ist an der Zeit, die Konflikte beizulegen unter Jenen, die an den Einen, den wahren Gott glauben“, sprach Mr. ABAW zu ihnen, „und vereint zu sein im Kampf gegen die Ungläubigen und Jene, die diesen Weg nicht gewillt sind zu gehen.“ Oben in der Mietwohnung angelangt erstatten sie Manuel de Montesa Bericht. „Sie sind tatsächlich alle auf dem Hof versammelt“, kann Hazrat verkünden. „Sonst lebt dort noch das Gewürzhändlerpaar, die aber tagsüber nicht anwesend sind, und dann gibt es einen Mikesch, der auch erst nachmittags von der Arbeit kommt.“ DeMontesa nickt beifällig. „Es kann sein, dass diese Georgina die Waffe von Matthias bei sich trägt“, vermutet Hans. „Wir haben die Beretta dort nicht finden können.“ Manuel bewegt seinen Kopf hin und her. „Ich denke nicht, dass sie sie einsetzen wird.“ Dann entscheidet er, dass der morgige Vormittag eine gute Zeit ist, um der Gruppe auf dem Hof einen Besuch abzustatten.
Zum Abendessen werden die im Kühlschrank befindlichen Lebensmittel aufgedeckt, die Hans eingekauft hat: geschnittenes Graubrot, verschiedene Sorten Käse, Wurst, sowie Tomaten und Radieschen. Als Getränk wird sich für Hagebuttentee entschieden. Die Männer haben am Tisch platz genommen, Mr. ABAW spricht das Gebet. „Nicht uns Herr, nicht uns, sondern Deinem Namen gib Ehre und Deine Gnade und Wahrheit. Warum sollen die Heiden sagen ‚wo ist ihr Gott?‘ Aber unser Gott ist im Himmel; er kann schaffen, was er will.“ Und nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Und wir werden helfen zu vernichten, was sich ihm in den Weg stellt. Amen.“
Susha, Khalil, George, Georgina und Diego haben sich in der Küche versammelt und gefrühstückt. Die Frage von Georgina, wer den Abwasch tätigt, wird seitens Diego gegenfragt, ob es denn dort nicht eine Geschirrspülmaschine gäbe, was ihm einen Blitzblick vom Ponee einhandelt. „Was? Ich habe irgendwo gelesen, dass die modernen Dinger sehr sparsam sind.“ „Behaupten die Hersteller, oder was?“ „Ich wasch ab“, bietet Khalil sich an und beginnt, den Tisch abzuräumen, wird dabei unterstützt von George, der das Abtrocknen übernehmen will. „Gibt es hier in der Nähe ein Lebensmittelgeschäft?“ will Georgina wissen. „Ich denke, wir füllen den Beiden mal ihre Vorräte auf.“ Susha stimmt zu, sagt, dass sie dann auch gleich Futter für die Katzen besorgen kann. „Im Nachbarort ist ein Edeka-Markt.“ George holt aus seiner Geldbörse einen Zehn-Euroschein und legt ihn auf den Tisch, Khalil steuert ebenfalls einen Zehner bei. Georgina wirft wieder einen Blick zu Diego. „Was ist mit Dir?“ „Ich hab doch nix mit“, was Susha auflachen lässt. „Genau wie damals. Nie hat er was auf der Naht. Ich hol eben meinen Rucksack, dann können wir auch los.“ Georgina greift sich einen Bastkorb, der in der Speisekammer steht. „Also dann Jungs, bis später.“ „Bringt ihr Bier mit?“ „Kein Geld, kein Bier“ kommt als Antwort auf Georgina, woraufhin George ihr noch einen Fünfer gibt. „Hier, sonst verdurstet uns der Arme noch.“ Georgina rollt mit den Augen. „Was soll ich den mitbringen?“ „Hemelinger“, kommt von Diego als Antwort, „im Sechserpack.“
„Was sind Deine Pläne für heute?“ möchte George von Khalil wissen. „Ich denke, ich werde gleich wieder zu einem Spaziergang starten.“ „Da komme ich gerne mit, wenns Dir recht ist. Und Du, Diego?“ „Ich bleib wohl hier und beschäftige ein bisschen die Katzen.“ „Wo sind die überhaupt?“ will Khalil wissen. „Bestimmt auf Mäusejagd“, mutmaßt George. Da wird die Tür aufgestoßen, Georgina steht im Rahmen, ihr Gesicht ist erblasst. „Was ist denn los?“ Wird sie von George gefragt. Ihre Antwort ist ein gerade eben noch vernehmbares Flüstern. „Er ist da.“ George fragt nach, wer, ahnt aber bereits die Antwort. „Mister Abaw.“ „Woher weiß er, dass wir hier sind?“ poltert Diego da los, „warum?…“ „Einer der Typen, die bei ihm sind, war gestern auf dem Hof.“ „Ja, aber woher wusste der unseren Aufenthaltsort?“ „Johann wird es ihm verraten haben“, vermutet Khalil. „Wo ist Susha?“ „Sie ist draußen geblieben.“ „Was machen wir jetzt?“ will George wissen. „Auf jeden Fall nicht darauf warten, dass er das Haus anzündet“, antwortet Khalil. „Ich werd mal mit ihm sprechen.“ Diego hat sich von seinem Platz erhoben. „Mal hören, was er vorhat.“
Draußen steht Susha, ihm den Rücken zugewandt, Manuel de Montesa gegenüber. Hinter Manuel haben sich drei Männer aufgereiht. Alle tragen sie dunkelgraue Hosen und Jacketts, darunter weiße Hemden. Sie sind mit zwei Autos gekommen.
„Grüß Dich, Manuel.“ Als Susha Diegos Stimme vernimmt, tritt sie beiseite und gibt den Platz frei für die beiden Brüder. Eine Ähnlichkeit besteht, jedoch nur, wenn genau hingeschaut würde. Ihre unterschiedliche Kleidung und die Frisuren lenken doch schon sehr von der Tatsache ab, dass es sich hier um Zwillinge handelt. Während bei Diego das silbergraue Haar offen in dem Wind des Vormittags weht, trägt Manuel eine Art Vokuhila mit Dauerwelle versehen. „Ich grüße Dich auch, Diego.“ Manuel holt aus der Innentasche seines Jacketts ein Etui, entnimmt ihm eine Zigarre und steckt sie sich zwischen die Lippen, sucht nach Streichhölzern, jedoch erfolglos. „Hans?“ Einer der Männer tritt an ihn heran, entzündet das Ende der Il Moro mit der Hilfe eines Jetfeuerzeugs, und begibt sich danach in seine Ausgangsposition zurück.
„Manuel, warum störst Du mich in meiner Ruhe?“ „Wovon sprichst Du?“ „Von dem Waldstück und der dort begonnenen Rodung.“ „Davon weiß ich nichts. Damit habe ich nichts zu tun.“
„Dann sage mir, weshalb Du uns verfolgst. Was haben wir Dir getan?“ „Ihr seid Ungläubige. Schlimmer noch: Dass ihr an Theriantropie glaubt ist widernatürlich. Und eure Energiekörper sind Teufelswerk. Zudem bezeichnet ihr den Drudenfuß als das Siegel Salomons. Das ist Gotteslästerung.“ „Du irrst, Manuel de Montesa!“ Georgina ist aus dem Haus getreten und stellt sich zur rechten Seite etwas hinter Diego. „Das Pentagramm ist das ältere Symbol. König Salomon wird es gekannt haben. Den Legenden nach stand er mit magischen Kräften in Verbindung.“ „Das ist Unfug! Er ist der Sohn König Davids, und…“ „Wag es ja nicht! Oder ich mache Dir ein Loch in Deinen Anzug!“ Susha steht dort, mit beiden Händen die Beretta umklammert haltend, und zielt auf den Mann in der Mitte. Manuel wendet den Blick, gibt Parwis ein Zeichen, die Waffe stecken zu lassen. „Sie hat Matthias auf dem Gewissen.“ „Er wollte mich töten. Ich habe mich lediglich verteidigt. Es war…ein Unfall.“ „Susha, nimm die Waffe herunter“, fordert Diego die Frau auf. „Ungern, Diego.“ „Woher hast Du das Ding überhaupt?“ „Von Georgina.“ Diegos fragender Blick trifft das Ponee. „Es ist die Pistole von Barfly.“
Khalil betritt als nächster die Szene, nimmt eine Position links hinter Diego ein. „Wer von euch hat den Wohnwagen in Brand gesetzt?“ Manuel antwortet ihm „es war niemand von uns.“ „Das Gebärdensprachepärchen?“ schlägt Georgina vor. „Wer?“ „Neila und Lyndon.“ „Als sie zu dem Hof kamen, brannte der Wagen bereits.“ „Und wer hat Johann auf dem Gewissen?“ fragt Khalil weiter. „Das war ich.“ „Dafür schieß ich Dir in den Kopf.“ Jetzt zeigt die Waffe auf Hans, und diesmal ist es Hazrat, der mit der linken Hand in die Innentasche seines Jacketts greifen will. „Wag es ja nicht“, droht Susha auch ihm.
Jetzt wird es Manuel zu bunt. „Niemand schießt hier, ohne dass ich den Befehl dazu gebe.“ „Du hast mir gar nichts zu befehlen“, fährt ihm Susha in die Parade. „Dann befehl ich es Dir. Gib die Waffe Georgina.“ „Nein, ich will sie nicht wiederhaben.“ „Herrgott! Ich will lediglich mit meinem Bruder reden!“ „Ja“, stimmt ihm Mr. ABAW da zu. „Wir werden das tun, was die Mächtigen der Menschheit anscheinend verlernt haben: miteinander reden.“
Manuel deMontesa dreht sich zu seinen Parabolani um. „Lasst die Waffen ruhen.“ Gehorsam wenn auch widerwillig verschränken die Drei ihre Arme hinter den Rücken. Auch Susha leistet folge, steckt die Beretta in die Tasche ihrer Trainingshose.
„Ich bin überrascht, Dich hier zu sehen“, wendet sich Manuel an Susha. „Weil ich nicht mehr bedröhnt durch den Tag wanke? Ich hab Deinem ‚Herrn Doktor‘ mal den Marsch geblasen.“ Manuel nickt. „Ja, das ist mir bereits zu Ohren gekommen. Wieland hat mir über seinen letzten Besuch bei Dir Bericht erstattet.“
„Herr Doktor, Narbengesicht…“ Khalil ist am grübeln, dann fällt es ihm ein. „Auf dieser Party, wo ich Musik gemacht habe! Da war auch ein Mann mit einer Narbe im Gesicht, und der wurde vom Gastgeber auch mit Herr Doktor angeredet.“ Für einen Moment kann ihm keiner folgen, dann kriegt Georgina den Zusammenhang hin. „Khalil hat doch auf dieser Party Musik gemacht, wo er das Gebärdesprachepärchen getroffen hat.“ „Dann sprecht ihr sicherlich von Heinz und Dagmar“, ist Manuel mit auf der richtigen Spur. „Die gehören gewissermaßen auch zu uns.“
Manuel hat aufgeraucht, zertritt den Zigarrenstummel mit der Schuhsohle auf dem Pflaster des Hofes. „Und wo ist George? Befindet er sich nicht ebenfalls hier?“ „Ich bin hier, Mister Abaw.“ Auch George hat das Haus verlassen und sich hinter Diego gestellt, so dass die Vier eine Raute bilden.
Hans signalisiert Susha, dass er gerne rauchen möchte, und dazu müsse er in die Innentasche seines Jacketts greifen. Susha nickt ihm zu, und Hans kann die Rauchutensilien hervorholen, bietet der Frau eine Zigarette an, diese lehnt ab, und so zündet er eine für sich an.
Georgina knüpft an den unterbrochenen Disput mit Mr. ABAW an: „Im Koran ist zu lesen, dass König Salomon die Fähigkeit besessen hat, mit Tieren und Dschinnen zu sprechen.“ Manuel tut dies als Wanderlegenden ab, da beginnt hinter ihm Hazrat zu zitieren: „Und Salomon beerbte David und sprach: o ihr Menschen, der Vögel Sprache ist uns gelehrt worden…und geschart wurden zu Salomo seine Truppen aus Geistern, Menschen und Vögeln.“ DeMontesa dreht sich zu dem Mann um. „Was ist das?“ „Es ist aus dem Koran die Sure 27, Vers sechzehn und siebzehn. Ich habe mich Ihnen angeschlossen, weil ich an die Königin von Saba glaube, aber in erster Linie bin ich ein gläubiger Muslime.“ „Die Königin von Saba!“ entfährt es da Diego. „Das war es, wovon Du damals bei unseren Treffen gesprochen hast.“
Khalil beginnt in den hinteren Winkeln seines Gedächtnisspeichers zu kramen. „Die sagenumwobene Königin aus dem Jemen. In ihrem Kulturkreis galten Sonne, Mond und Venus als Gottheiten.“ „Und Salomon unterwies sie in dem Glauben, dass die Himmelsgestirne durch die Kraft Gottes bewegt werden“, weiß Manuel zu erzählen.
„Was aber war die Kraft Gottes damals für Salomon?“ sinniert Georgina. „Wie erschien sie ihm? Wie stellte er sich Gott vor?“ Es ist Parwis, der darauf das Wort ergreift. „Den Überlieferungen des jesidischen Glaubens nach schuf Gott die Welt aus einer Perle, dies mit der Hilfe von sieben Engeln. Einer der Engel ist Melek Taus, der als ein Pfau dargestellt wird. Melek Taus erschuf Adam und Eva. Als Gott forderte, vor Adam zu knien, weigerte dieser sich, da Gott den Engeln befohlen hatte, nur ihn anzubeten. Gott hatte Melek Taus damit lediglich einer Prüfung unterzogen. Und da er diese bestanden hatte, machte Gott ihn zum obersten Engel.“
„Bei uns im Islam gibt es den Erzengel Asasel, der im Koran auch Iblis genannt wird. Asasel wurde von Gott auf die Erde gesandt, um die Dämonen zu bekämpfen. Auch ihm befiehlt Gott, vor Adam niederzuknien, was er verweigert. Auf die Frage von Gott, was ihn daran hindert, antwortet Asasel „ich bin besser als er. Mich hast Du aus Feuer geschaffen, ihn aber hast Du nur aus Lehm gemacht.“ Daraufhin wurde Asasel aus dem Himmel verbannt und als Iblis, also der Satan, auf die Erde geschickt.“
Das ist das Stichwort für Mr. ABAW: „Da stehen sie, die Dämonen, die das Böse unter die Menschen bringen! Sie weigern sich, den Glauben an Gott anzunehmen. Sie müssen vernichtet werden!“
In diesem Moment ertönt die Stimme einer jungen Frau. „Mister Abaw? Großvater?“ Manuel wendet sich zu ihr hin, ebenso alle dort Versammelten. Unbemerkt von ihnen haben Julia und Alexander den Hof betreten.
Manuel reagiert erfreut, geht zu ihr hin, die Arme ausgebreitet. „Julia, mein Kind! Was bist Du gewachsen. Lass Dich umarmen.“ Alexander überrascht die Reaktion des Mannes, will dem Treffen nicht im Wege sein und nähert sich seiner Familie. Auf seine Frage, wo denn George ist, bemerken die anderen erst, dass George sich nicht mehr bei ihnen befindet. „Er wird zurück ins Haus gegangen sein“, mutmaßt Georgina. „Das alles regt ihn wohl zu sehr auf.“ „Nein! Lass mich los!“ „Und jetzt ist Schluss hier mit dem Theater! Hazrat, Hans, Parwis – erledigt endlich das, wozu ihr hier seid.“
Mr. ABAW hält die junge Frau fest umklammert, mit der rechten Faust drückt er ihr ein Messer gegen den Hals. Ab da beginnen die Ereignisse sich zu überschlagen. „Lass meine Tochter los!“ Susha will auf die beiden zurennen, zieht dabei die Beretta hervor. Da verlässt Hazrat seine Position, um sich Susha in den Weg zu stellen, dies mit gezogener Waffe. Nun hält auch Hans eine Pistole in der Hand, richtet sie auf Hazrat, sagt zu ihm „tue nichts unüberlegtes.“
Georgina, Khalil, Diego und Alexander stehen da wie erstarrt, wissen nicht, wie sie in die Geschehnisse eingreifen sollen. Und dann sehen sie, wie ein schwarzer Vogel auf Mr. ABAW hinabstürzt und beginnt, ihn mit seinem Schnabel zu attackieren. Als der Mann versucht, das Tier abzuwehren, kann sich Julia von ihm losreißen und hin zu Alexander laufen, der sie sogleich in Schutz nimmt. Gleich darauf fliegt der Rabe davon.
„Geh mir aus dem Weg, Jude!“ Da erhält Hazrat einen Hieb auf den Hinterkopf und sackt zu Boden. „Ich danke Dir, Parwis.“ Der Jeside nickt Hans zu, steckt die Waffe zurück, sagt „mir waren im Laufe der Gespräche hier Zweifel an der Richtigkeit unseres Handelns gekommen.“ „Ja, mir ging es genau so. Lediglich bei Hazrat scheinen sie keine Wirkung gezeigt zu haben.“
„Ja, manche Menschen sind unbelehrbar.“ Diego kommt auf die beiden zu, spricht zu ihnen: „Es werde von Grund auf anders! Aus der Wurzel der Menschheit sprosse die neue Welt! Eine neue Gottheit walte über ihnen, eine neue Zukunft kläre vor ihnen sich auf.“
Hans muss kurz überlegen, dann kann er weiter zitieren: „Sie werden kommen, Deine Menschen, Natur! Ein verjüngtes Volk wird Dich auch wieder verjüngen, und Du wirst werden wie seine Braut, und der alte Bund der Geister wird sich erneuern mit Dir. Hyperion an Bellarmin.“
„Sie kennen es“, ruft Diego erfreut aus. „Ja. Unser Deutschprofessor brachte uns die alten Klassiker bei. Friedrich Hölderlin liebte er besonders. Wir waren seine letzten Schüler, bevor er sich in den Ruhestand begab.“ „Ach, dann waren Sie auch…“ „…Auf dem selben Internat wie Herr de Montesa. Wieso? Haben Sie dort auch?…“ „Selbstverständlich, ja! Hat er es nie erwähnt?“ „Nein.“ „Als was hat Manuel mich denn dargestellt? Als einen menschenmordenden Dämon?“ „So ungefähr, ja.“ „Und wann sind Ihnen Zweifel daran gekommen?“
Ihr Gespräch wird gestört durch das Gezetere Manuel deMontesas. „Was ist da los? Was soll das heißen? Hans! Parwis! Was ist mit Hazrat passiert?“ Ein Stofftaschentuch an die blutende Kopfwunde haltend bückt er sich nach dem Messer. „Jetzt knall ich Dich ab, Du Schwein!“ Susha hat sich wieder in Bewegung gesetzt, die noch gesicherte Waffe mit weit von sich gestreckten Armen haltend. „Nein! Mama! Hört sofort auf damit!“ Julia steht da, mit weit aufgerissenen Augen, ihre Hände zu Fäusten geballt. „Habt ihr hier alle den Verstand verloren?“ „Eine durchaus berechtigte Frage“, gibt Diego zu, und an die mittlerweile stehen gebliebene Susha gerichtet: „Deine Tochter?“ „Susha starrt Julia an, stammelt „ja. Ja, das wird sie wohl sein.“ „Das wird sie wohl sein? Was kommt als nächstes? Du bist aber groß geworden? Scheiße!“ Julia schreit ihren ganzen Frust heraus, Tränen fließen ihre Wangen herab. Ob dieses Gefühlsausbruchs lässt Manuel das Messer am Boden liegen, stiert verunsichert zu der jungen Frau hinüber.
„Also zumindest vom Charakter ähnelt ihr euch gewaltig“ wagt Diego gegenüber Susha zu behaupten, dem Hans mit der Bemerkung „ja, die Kleine hat Pfeffer“ zustimmt.
Mittlerweile ist Hazrat wieder zu sich gekommen, betastet seine wachsende Beule am Hinterkopf. „Was ist los? Was ist passiert?“ „Schweig“, wird er von Parwis angefahren, „es wird gleich ein heiliger Moment eintreten.“ „Wieso?“ will der Muslime wissen, „ist die Königin von Saba eingetroffen?“ „So ähnlich, ja.“
„Ich denke, wir sollten keine Zeit mehr verlieren und das Siegel des Salomon bilden.“
Georgina und Khalil drehen sich um. „George! Wo bist Du gewesen?“ fragt Khalil den eben noch als verschwunden gegoltenen Mann. „Sagen wir so: Ich hatte etwas wichtiges zu erledigen.“ Diego stimmt George zu. „Absolut. Genau deswegen sind wir ja hier. Junge Dame, darf ich bitten?“ Da hebt Julia abwehrend ihre Hände, schüttelt energisch ihren Kopf. „Oh nein! Lasst mich damit in Ruhe!“ Diego wendet sich an Alexander. „Weiß sie denn nicht bescheid?“ „Doch, ja. Ich habe ihr unterwegs in Kürze alles erklärt.“ „Sehr überzeugend scheint es nicht gewirkt zu zu haben.“ „Nun ja, ich habe es zumindest versucht.“
Da tritt Georgina an Julia heran, spricht mit ihr, mit leisen aber eindringlichen Worten. Julias Mimik ist abweisend, skeptisch noch, und schließlich ist ein stummes Nicken zu erkennen. Gemeinsam mit dem Ponee geht sie zu Diego und Khalil, wird von ihnen formell begrüßt, ebenso von George und Susha. „Was soll ich denn jetzt machen?“ „Es ist ganz einfach. Komm…“ Georgina nimmt ihre rechte Hand, ihre linke Hand umfasst Susha. „Ich bin so froh, dass Du hier bist“, sagt Susha leise zu ihrer Tochter. George hat Georginas rechte Hand genommen, Khalil schließt den Kreis, indem er die Hände von Susha und George ergreift. „Streckt nun eure Arme zur Mitte“, weist Khalil sie an.
Hans, aus gebührender Entfernung das Ritual verfolgend, hat sich niedergekniet. Parwis boxt Hazrat leicht aber energisch gegen die Schulter und gibt ihm zu verstehen, es Hans gleichzutun. Beide Männer begeben sich ebenfalls in eine knieende Position.
Derweil ist Diego zu seinem Bruder hinübergegangen, der alleine dort steht, den Kopf gesenkt haltend. Als er sich neben ihn stellt, schaut Manuel zu ihm hin. Tränen schimmern in seinen Augen.
„Ich bereue, den falschen Weg gegangen zu sein“, hört Diego ihn sagen. Seine Stimme klingt wie fast zu Eis gefrorenes Wasser, das einen Hang hinabstürzt. „Es wird eine gute Zeit kommen“, erwidert Diego. Sie hören die Stimme Khalils und die Stimmen der anderen Vier, die seine Worte im Chor nachsprechen.
„Großer Bär und Mutter Erde
(Großer Bär und Mutter Erde)
Die Kraft des Wassers reinigt mich
Die Kraft des Windes führet mich
Die Kraft des Lichtes wärmet mich
Die Kraft der Erde nähret mich
Die Kraft der Liebe schützet mich
Großer Bär und Mutter Erde
(Großer Bär und Mutter Erde)“
„Amen“, hört Diego seinen Bruder leise sagen. „Ja. Amen.“
„Wie, und das wars jetzt?“ fragt Alexander, der sich neben Diego gestellt hat. „Was hast Du erwartet?“ gegenfragt Diego. „Dass wir alle gen Himmel fahren?“ „Nein, das gerade nicht, aber.. ich weiß auch nicht.“ „Irgendein Zeichen?“ forscht Diego weiter. „Ja, ich denke, so etwas in der Art.“ „Ich vernehme etwas“, äußert da der Weißgekleidete, dabei den linken Arm mit gespreizten Fingern zu dem mit Federwolken dekorierten Firmament streckend. Alexander verharrt, gespannt, erwartungsfroh. „Ich habe Durst“, hört er Diego Balanza sagen. „Und es ist kein Bier da. Das ist ein schlechtes Zeichen.“ „Ach mensch, Diego! Du ziehst das ganze ins Lächerliche!“ „Nein, tue ich nicht“, widerspricht ihm der Mann und grinst ihn spitzbübisch an. „Aber Du verhältst Dich wie ein Katholik, der nach der Messe ein Wunder erwartet. Dass Blut aus den Wunden von dem alten Holzmichel zu fließen beginnt, oder so etwas…“ „Diego!“ „Ist doch so.“
„Ich möchte gern zu den anderen gehen“, lässt Manuel verlauten, der die ganze Zeit wie in sich gekehrt dagestanden hat. „Darf ich das?“ Diego wendet sich seinem Bruder zu, erstaunt über dessen Frage. „Aber sicher doch, Hermano! Du bist frei und kannst gehen, wohin Du willst.“
Der Kreis hat sich aufgelöst, und die Fünf haben sich zu Hazrat, Hans und Parwis gesellt. Man steht beisammen und plaudert, wie bei einem Empfang.
„Er kommt mir so…verloren vor“, merkt Alexander an. „Du wirst doch nicht etwa Mitleid mit ihm haben?“ „Aber nein ich…doch, ein bisschen schon.“ Diego klopft Alexander auf die Schulter. „Komm, gehen wir auch hin. Mal hören, was es alles zu bereden gibt.“
Ein Automobil hält neben ihnen; es ist Frieda, die auf der Fahrerseite die Scheibe hinunterkurbelt. „Haben wir irgendetwas verpasst?“ „Vor ein paar Minuten wurde das Siegel des Salomon gebildet“, antwortet ihr Alexander. „Ah! Dann sind also alle eingetroffen. Und wer ist das noch da hinten?“ Alexander benennt die vier Männer und reicht die Geschichte dazu.
„Na! Gut, dass wir vorhin noch einkaufen waren.“ Frieda wendet sich an ihren Partner. „Wer ist dran mit kochen?“ „Du.“ „Mist.“ „Ich denke, bei den vielen Gästen werden wir uns gemeinsam ans Werk machen.“ „Also, Alex, dann bis nachher!“ „Woher…wissen Sie, wer ich bin?“ Frieda lacht ihn schelmisch an und blitzt dabei mit den Zähnen. „Ich bin Swan Lee, das Mädchen mit den roten Haaren gewesen…“ Alexander grübelt, kann sich noch dunkel erinnern.
„Was gibts denn zu essen?“ fragt Diego nach, und erhält als Antwort „Fisch und trocken Brot.“ „Hä?“ „Naja, ich komme mir ein bisschen vor wie bei der Speisung der 5000.“ Diegos nächste Frage, ob sie Bier mitgebracht haben, geht im Motorengeräusch unter. „Diego, so benimmt sich kein Schamane“, wird er von Alexander getadelt. „Ich bin kein Schamane!“ „So? Was bist Du dann?“ „Ich bin nur ein armes kleines Menschenkind, das an die Kraft des Äthers glaubt.“ Kopfschüttelnd setzt sich Alexander in Bewegung.
Zum Essen gibt es Couscous mit gebratenem Gemüse und verschiedenen Käse-, Knoblauch- und Pfeffersaucen. Als Nachtisch wird Haselnussjoghurt mit Bananenstücken serviert. Dazu stehen trockener Weißwein und verschiedene Sorten Bionade bereit.
Diego richtet erneut seine Frage an Hans und Parwis, die sie ihm aufgrund des Tumults vorhin nicht beantworten konnten. „Bei mir ist es die Erwähnung der magischen Kräfte Salomons gewesen“, antwortet Parwis. „Somit können Sie und Ihre Mitstreiter nicht so weit mit diesem alten Glauben auseinanderliegen.“ „Mir gab die unterschiedliche Rolle des Erzengel Asasel zu denken“, begründet Hans seinen Sinneswandel. „in der einen Legende wird er für seinen Ungehorsam belohnt, in der anderen verbannt ihn Gott aus dem Himmelreich…“ „…Und schickt ihn auf die Erde, um Zwietracht unter die Menschen zu säen.“ Parwis schüttelt seinen Kopf. „Da gefällt mir die erste Version besser.“ Diego hebt sein Glas mit dem von Bernhard frisch eingeschenkten Grappa. „Stoßen wir an auf die Erkenntnis!“ „Auf die Erkenntnis!“
„Nicht werdet ihr ins Paradies eintreten, solange ihr nicht glaubt. Und ihr glaubt nicht, solange ihr einander nicht liebt“, hören sie Hazrat zitieren, und ihre Frage, von wem dies stammt, wird mit „Mohammed“ beantwortet. „Auf den weisen Propheten Mohammed!“ „Ja, auf Mohammed!“ Glas klirrt gegen Glas, und dann lassen Parwis, Hans und Diego den Schnaps ihre Kehlen hinabrinnen, während Hazrat von seiner Bionade trinkt.
Khalil und Manuel sitzen beisammen, haben Weißwein vor sich stehen. „Was ich gerne von Ihnen wissen möchte ist, weshalb es damals zum Bruch mit der Kirche gekommen ist.“ „Es wurde einst die Behauptung aufgestellt, dass Petrus in Rom weilte und dort auch begraben liegt. Dies ist nicht bewiesen, jedoch stellt es die Legitimation dar, den Papst als Oberhaupt der christlichen Kirche zu erheben. Und es ist in den vier Evangelien zu lesen, dass Petrus Jesus dreimal verleugnete.“ „Und wenn Petrus so gehandelt hat, um sein Leben zu retten, damit er die Lehre von Jesus Christus weiterverbreiten konnte?“ „Hm, ja, aus der Warte habe ich es noch nicht betrachtet…“
„Meiner nächsten Frage, warum Sie Jesus Christus nicht als den Messias anerkennen, möchte ich eine Aussage voranstellen, die ich im ‚Großinquisitor‘ von Dostojewski gelesen habe: In dieser Geschichte ist Jesus zurückgekehrt, wird als vermeintlicher Ketzer verhaftet und in ein Verlies gesperrt. Dort verdeutlicht ihm der Großinquisitor, dass die Vertretung des wahren christlichen Prinzips den Bestand der Kirche als Institution gefährde, da ihre Reglementierung infrage gestellt würde. Er fordert also Jesus auf, als für das bestehende System gefährlicher Mann sich nicht mehr blicken zu lassen.“ „Ah, ja. Durchaus interessant. Dostojewski, sagten Sie? Meines Erachtens bedarf die Menschheit einer Autorität, sei sie religiös oder politisch. Ohne solch eine führende Hand würde sie im Chaos versinken. Warum stellt Jesus nun nicht den Messias für uns dar…“
Manuels Ausführungen werden unterbrochen, denn der Runde bei tritt Mikesch, sagt, dass er zuerst noch sein Pferd versorgt habe, und lacht danach, als habe er einen Scherz vernommen. Es findet sich noch ein Platz und etwas zu essen für ihn, dazu möchte er Weißwein trinken. Den Umsitzenden zuprostend berichtet er, vorhin beim Waldstück vorbeigeschaut zu haben. Allem Anschein nach sind die Rodungsarbeiten eingestellt worden.
„Seht ihr wohl!“ ruft Diego aus, „das Siegel zeigt bereits Auswirkung“, und erntet dafür einzelne Lacher.
„Geht es Dir gut?“ wird Julia von der neben ihr sitzenden Georgina gefragt. „Ja…es gefällt mir gut hier bei euch“, antwortet die junge Frau mit einem strahlenden Lächeln, das die wohl zwanzig Jahre ältere Georgina dazu verleitet, Julia zu fragen, ob sie denn einen Freund habe. Im nächsten Moment ist das Lächeln futsch. „Oh mein Gott! Ich hab ganz vergessen, Armin anzurufen!“ “Na, denn mal los!“ Julia wühlt in ihrer Tasche, findet das Mobiltelefon, doch das zeigt eine leere Batterie an. „Können Sie…kannst Du mit vielleicht Dein Handy leihen?“ Bedauerndes kopfschütteln. „Ich besitze kein Mobiltelefon. Wir können ja mal in die Runde fragen.“ Das Ergebnis hätte Julia in einer anderen Situation angenehm überrascht, froh gestimmt sogar, doch dort trägt es lediglich zu einer wachsenden Frustration bei, denn niemand der Anwesenden hat ein Handy dabei.
„Wenn Du möchtest, kannst Du unser Festnetztelefon benutzen“, bietet ihr Frieda an, und zeigt Julia das Büro, in dem der Apparat steht.
„Deine Tochter ist ein ganz bezauberndes Wesen.“ „Ja, das ist sie.“ Auf einmal füllen sich Sushas Augen mit Tränen. „Ach Dschinni, hätte ich damals bloß nicht…“ Als Susha hemmungslos zu schluchzen beginnt, rückt Georgina neben sie und nimmt ihre Mitstreiterin in die Arme. „Dschinni, es tut mir alles so schrecklich leid.“ „Das braucht es nicht. Du…ihr beiden, ihr könnt noch so viel Zeit miteinander verbringen.“ Susha nickt, kramt ein Taschentuch aus ihrer Hosentasche, schnäuzt sich kräftig, greift zu ihrem Weinglas, trinkt den Rest aus. „Hast Du noch nen Schluck für mich?“ „Klar doch.“ Georgina ergreift die auf dem Tisch stehende Flasche, schenkt erst Susha, dann sich selbst nach.
Als Julia von ihrem Telefonat zurückkehrt, rutscht Georgina auf ihren Stuhl zurück, und Julia kann wieder zwischen den beiden Frauen platz nehmen. „Hast Du Deinen Freund sprechen können?“ Ja, hat sie. Und dann erzählt die junge Frau von Marjana, der Studentin aus der Ukraine, die in dem Kiosk von ihrem Freund als Aushilfe angefangen hat, und ihre Eltern zuhause in Donezk nicht erreichen konnte, und deswegen schon überlegt hat, dorthin zurückzufahren. „Stellt euch vor! Sie hat zu ihren Eltern eine Verbindung bekommen!“ Julias Wangen haben sich von der Aufregung gerötet. „Und sie hat sich entschlossen, hier bei uns zu bleiben!“ Diego, der wie die anderen in dem Raum Versammelten aufmerksam zuhört, gibt diesmal nicht seinen Senf dazu, formt lediglich mit Zeige- und Mittelfinger seiner linken Hand das Victoryzeichen. Leiser, wohlwollender Applaus ist zu vernehmen.
Julia, angespornt durch die positiven Reaktionen und vom Wein, plappert munter weiter: „So Anfang Mai ist eine Eröffnungsfeier geplant, auf dem Platz vor dem Kiosk. Ihr seid hiermit alle eingeladen! Was noch fehlt ist Live-Musik, das wäre ganz toll…“
„Da kann ich jemanden empfehlen“, hört sie Georgina sagen und folgt ihrer Deutung mit dem Kinn, die in Richtung Khalil geht. „Was, echt? Was spielen Sie denn?“ „Gar nichts, wenn Du mich noch weiter siezt.“ „Ja, los, Spielmann! Gib der jungen Dame eine Kostprobe“, wird Khalil von Frieda aufgefordert. „Oh ja, bitte!“ Schon steigt Khalil die Treppe hinauf, um seine Gitarre zu holen.
Dies empfindet Alexander als den richtigen Zeitpunkt, sich an George zu wenden. „Ich bin davon ausgegangen, die Verwandlung in ein Tier wäre nur in der Traumzeit möglich.“ Er sieht, wie George den Kopf bestätigend auf- und abbewegt. „Und woher nimmst Du die Gewissheit, dass Du Dich nicht in einem Traum befindest?“
Alexander überlegt kurz, kneift sich dann in den linken Oberarm. „Ich fühle, also bin ich real“ ist seine Antwort, die George zum lachen bringt. „Na, wenn Dir das genügt, dann ist ja alles in Ordnung.“
Währenddessen ist Khalil mit umgehängter Akustikgitarre zurückgekehrt, wird mit enthusiastischen „Ramones, Ramones“-Rufen von Diego und Mikesch empfangen, was Manuel, Parwis und Hazrat verständnislos dreinblicken lässt. Hans jedoch kann damit etwas anfangen und skandiert etwas verhalten aber fröhlich „hey ho, let`s go!“
Khalil intoniert ,what shall we do with a drunken Sailor‘, lässt ,my Bonnie is over the Ocean‘ folgen, dies mit allen zotigen Strophen. Beim anschließenden ,Whisky in the Jar‘ werden zur Refrainunterstützung Hände im Takt geklatscht oder auf die Tischplatte gehauen. Und dann kommt ,poison Heart‘ von den Ramones. Julia kennt es, singt textsicher mit. Zum Abschluss wird es nochmals ruhiger, mit ,another Piece of red‘, eines der Lieblingslieder von Khalil. Dabei ist George leise am mitsummeln, löst dann auf mit der Bandnennung „Boomtown Rats“, und auf den etwas überraschten Blick von Georgina: „hab ich doch mal live gesehen, damals, wann war das? 1981. In der Stadthalle…“
Einen aber will Khalil noch bringen, wie immer am Ende eine Eigenkomposition. Er befestigt den Kapodaster auf dem 4. Bund und kündigt an: „Letzte Runde!“
C G
Habt ihr es noch nicht vernommen ?
C G
Die Welt tut ihren letzten Zug
F C
Weit ist es mit uns gekommen
amoll F
Nicht ganz dicht aber voll drauf
amoll F
Nehmen noch Kredite auf
am G C
Vom Feiern kriegen wir nie genug!
Emoll amoll
Im Stundenglas verrinnt der Sand
emoll amoll
In Börsenhallen tanzt der Tod
C emoll
Dunkle Mächte irren durchs Land
D C
Und die Gier nach Macht und Geld
D C
breitet Fäulnis in der Welt
amoll G C
Wer kann uns noch retten aus der Not?
(Griffe wie Strophe 2)
Geister ziehen ihre Runden
Dichter Nebel liegt auf der Straß`
Es war wohl zur späten Stunden
Da verlor trotz der Dichtung
verworren er die Richtung
Vom Absinth war da wohl zu viel im Glas!
(Griffe wie Strophe 1)
Bringt den Mann sicher nach Hause
Lagert ihn auf seidne Betten
Dass er dann nach kurzer Pause
greift zu Feder und Papier
und schreibt wider Macht und Gier
Der Dichter wird die Welt erretten!