Fortes sumus in fide

„Ich grüße Sie, Euer Eminenz. Hier spricht Generalvikar Piepvogel vom Bistum Osnabrück.“ Der erste Präfekt des heiligen Offiziums sitzt auf einem gepolsterten Lehnstuhl vor seinem Schreibtisch, den Telefonhörer in der linken Hand haltend. „Ich grüße Sie auch. Meine Sekretärin sagte mir, Sie haben ein Anliegen von immenser Wichtigkeit.“ „So ist es, Euer Eminenz! Bestünde auch nur der leiseste Zweifel daran, würde dieser Anruf nicht stattfinden.“ „Also sprechen Sie: was ist der Grund Ihres Anrufs?“ „Vor zwei Tagen wurden in einer kleinen Stadt in der Nähe von Bremen Abweichungen festgestellt.“ Der Präfekt überlegt seine nächste Frage gut. „Sprechen Sie von gotteslästerlichen Handlungen oder von einem Fall von Besessenheit?“ „Nein, Euer Eminenz. Es sind dort allem Anschein nach widernatürliche Erscheinungen aufgetreten.“ Erneut entsteht eine Pause, dann „sind Sie sich dessen sicher?“ „Ich habe die Informationen von dem dort ansässigen Gemeindepfarrer. Dieser hat eine entsprechende Ausbildung, was diese Phänomene betrifft, erhalten.“ „Gut. Also dann – werde ich entsprechende Maßnahmen einleiten.“ „Sehen diese Maßnahmen es vor, Zeitung und Fernsehen über diesen Vorfall zu informieren?“ „Um des Himmels Frieden Willen, nein! Es gilt, absolutes Stillschweigen darüber zu bewahren!“ „Selbstverständlich, Euer Eminenz. Wie Ihr wünscht.“ „Es ist Euer erstes Mal, dass Ihr mit solcherart Dingen konfrontiert werdet?“ fragt der Präfekt in einem ruhigeren Ton nach, was von dem Generalvikar bejaht wird. „Haltet noch einmal Rücksprache mit dem Gemeindepfarrer, damit auch von dieser Seite nichts nach außen dringt.“ „Ich werde dies sofort erledigen.“                      Kurz nachdem er den Generalvikar verabschiedet hat, wählt der Präfekt seine Sekretärin an und bittet um eine Verbindung, die gleich darauf hergestellt wird. In der Zwischenzeit hat der Kirchenmann den Hörer auf die Platte des Schreibtisches gelegt und den dort aufgestellten Lautsprecher eingeschaltet. So hat er die Hände frei, und kann aus einer der Schubladen eine Flasche sowie ein Glas hervorholen, befüllt dieses mit der klaren Flüssigkeit aus der Flasche, schnuppert daran, nimmt anschließend einen kleinen Schluck. „Grüß Dich, Josef“, tönt es aus dem Lautsprecher. „Was verschafft mir die Ehre?“ Der so Gefragte gibt seinem Gesprächspartner die soeben erhaltenen Informationen weiter, setzt ihn über ein zweites Vorkommen in Berlin in Kenntnis, von dem er bereits vor dem Gespräch mit dem Generalvikar erfahren hatte. In der Stimme des Mannes am anderen Ende der Leitung meint Josef nun einen belustigten Unterton zu erkennen. „Es ist doch nicht zu fassen, oder? Dass solche Phänomene hier im zwanzigsten Jahrhundert auftauchen, trotz der dankenderweise getroffenen Übereinkünfte von Wissenschaft und christlichem Glauben… nun ja. Und wie kann ich dabei behilflich sein?“ „Es gilt, Nachforschungen anzustellen, um was genau es sich bei den Abweichungen handelt. Wenn ich mit diesem Anliegen an die offiziellen Stellen herantreten würde, ist davon auszugehen, dass dann auch irgendwann die Öffentlichkeit darüber erfahren wird…“ „Und das ist ja auf jeden Fall zu vermeiden!“ Jetzt vernimmt der Präfekt einen Anflug von Sarkasmus, und als aus dem Lautsprecher die Schlussfolgerung „und nun dürfen wir für Euch wieder die Kastanien aus dem Feuer holen“ dringt, kann er seinen Unmut darüber nicht verbergen. „Herrgott, Roland! Musst Du jetzt wieder mit den alten Geschichten kommen?“ „Ach was, nein! Sage er mir besser noch einmal, wo diese… Abweichungen aufgetreten sind.“ Der Kirchenobere nennt seinem Gesprächspartner ein weiteres Mal den Namen des Ortes, sagt, dass der Mann, von dem in Berlin die Strahlung ausgegangen ist, bereits ausfindig gemacht werden konnte. „Ist schon eine Befragung durchgeführt worden?“ „Vorbereitungen diesbezüglich werden bereits in die Wege geleitet.“ „Benötigt ihr dabei Unterstützung?“ „Ich denke nicht, nein.“ „Gut.“ Das Gespräch pausiert. Der den Namen Roland trägt überlegt, gräbt in seinen Erinnerungen. Dann: „Bei dem Namen des Ortes… Irgend etwas war dort vor einiger Zeit vorgefallen.“ „Ich wüsste jetzt nichts, was in dem Zusammenhang…“ „Schriften!“ schallt es da aus dem Lautsprecher. „Dort hatte jemand Schriften verbreitet, in denen er die Übereinkünfte und Gesetze als Lügen bezeichnete!“ „Ich kann Dir nicht ganz folgen, was das jetzt…“ „Glaubst Du an Zufälle?“ „Was? Nein, selbstverständlich nicht! Alles ist durch die Hand Gottes…“ „Ja,ja,ja“, fährt ihm der Andere unwirsch ins Wort, um dann weiter auszuführen: „Vor etwa sechs Jahren wurden diese Pamphlete dort verteilt, und nun, an eben diesem Ort, kommt es zu diesen Phänomenen…“ „Roland, wir müssen davon ausgehen, dass solche Erscheinungen auch an anderen Orten geschehen; nur dass wir davon keine Kenntnis erhalten. Hier nun haben wir es der Aufmerksamkeit eines Kirchendieners zu verdanken – und in dem anderen Fall war es…“ „Fügung des Schicksals?“ „Wenn Du es so nennen willst, ja.“ „Wieder gibt es eine Pause zum Sammeln der Gedanken. „Ist es erforderlich, das Institut über die Vorkommnisse zu unterrichten?“ „Weshalb?“ „Im Falle der Nichteinhaltung der physikalischen Gesetze könnte es für die Wissenschaft von Interesse sein.“ „Darüber entscheiden wir, wenn wir in Erfahrung gebracht haben, um was genau es sich bei den Abweichungen handelt…“