Die Kugel prallt neben dem anvisierten Loch gegen die Bande und rollt auf dem grünen Filzbelag zurück. Der Spieler stellt das hintere Ende des Queues auf dem Boden ab, greift mit der freien Hand nach seinem Hefeweizenglas und nimmt einen ausgiebigen Schluck. Unterdessen will der Gegenspieler eine seiner Kugeln einlochen, was ihm ebenfalls misslingt. Einige der an den Tischen Sitzenden haben Markstücke unter die Bande gelegt, um damit das Billard für ein Spiel zu reservieren. Jedoch macht es gerade den Anschein, als müssten sie sich gedulden. Don Pedro, der Wirt, hat ein Mixtape eingelegt, das ihm der Bierverteiler aus dem Stadtpark übergeben hat. Gleich darauf widmet er seine Aufmerksamkeit wieder den beiden Stammkunden, die am Tresen ihr Bier trinken, schenkt ihnen und sich selbst einen Whisky Hausmarke ein. ‚Ooga chaka, ooga ooga ooga chaka‘ beginnt es aus den Lautsprechern zu tönen, gerade als einer der Spieler eine weitere Kugel versenken kann. „I cant stop this Feeling, deep inside of me. Girl, you just don
t realise, what you do to me…“ kann Don Pedro mitsingen, und wird prompt neunzehn Jahre zurückgebeamt, als er und eine Handvoll Späthippies hier in der Kleinen Stadt die Revolution geprobt haben, mit leerstehende Häuser besetzen und LSD einwerfen. „Hooked on a feeling“ fällt einem der beiden Männer vor der Theke zumindest der Titel des Liedes ein. Am Billardtisch wird der nächste Treffer erzielt, und somit bleiben für den ersten Spieler noch zwei Kugeln über, was ihm einen Vorsprung von einer Kugel gibt. Er visiert die 9 an, beugt sich vor und versetzt der Spielkugel einen Effetstoß. Zack! Die 9 verschwindet im linken mittleren Loch. Jetzt wird es eng für Spieler zwei. Spieler eins kreidet den Queue, trinkt noch einen Schluck, um sich dann eine Strategie für das Einlochen seiner letzten Kugel, der 11, zu überlegen. Der Macher des Tapes hat sich wieder zu Glatzengirl an den Tisch gesetzt. „Was ist das jetzt?“ wird er von ihr gefragt. „Das sind Redbone. Eine Rockband aus den USA, dessen Musiker alle Natives waren.“ „Waren. Die gibt es also nicht mehr?“ „Nee, glaub ich zumindest, nicht mehr. Das Stück ist jetzt aus den Siebzigern.“ Ein Typ, vielleicht Anfang zwanzig, betritt den Schankraum. Er trägt einen blauen Overall und ein Barett mit Leopardenfellmuster. In seiner an der rechten Seite herabhängenden Messenger-Bag führt er verschiedene Farbspraydosen mit. Der Typ bestellt sich beim Wirt einen KiBa und setzt sich damit alleine an einen Tisch. „Bin gleich wieder bei Dir.“ Der Tapemixer nickt verständig und widmet seine Aufmerksamkeit dem Geschehen am Billardtisch. Dort hat Spieler eins soeben die rote Kugel versägt. „Hi, Alex! Was treibt Dich hierher?“ Der Angesprochene gibt Glatzengirl einen kurzen Looker. „Ich werd gleich noch was taggen.“ „Hab ich mir wohl so gedacht.“ Sonja betrachtet den ihr gegenübersitzenden Jungen. Der hat seinen Blick wieder gesenkt, fingert an dem Glas herum, ohne jedoch daraus zu trinken. Die Frau spürt, dass ihn etwas beschäftigt, also fragt sie nach. „Da ist etwas im Gange. Etwas Großes, weißt Du? Ich kann Strömungen wahrnehmen…“ Lachend deutet er mit seinem Kinn zu der Musikanlage. „Da! Die Musik! Spirit in the Sky. Das ist es…“ Sonja kennt das Lied zwar, kann Alex jedoch nicht folgen. Dieser schaut sie jetzt direkt an. „In meinem Traum…da war eine Gestalt, in einem…einem Behälter. Die sendet Gedanken aus, also die Gestalt. Sie will Kontakt zu Anderen herstellen…“ Vom Billardtisch ertönt Jubeln und Beifall. Ein Mann und eine Frau haben begonnen, nach der Musik zu tanzen. „Und dann ist da noch etwas anderes…“ Der junge Mann starrt wieder auf das Holz des Tisches, und das Glatzengirl wartet, auf das, was da kommen wird. „In einem anderen Traum habe ich Wesen gesehen, die dabei sind, diese Welt zu verlassen. Sie bauen… sie errichten eine andere Welt.“ „Wesen?“ fragt Sonja nach, und Alex lacht wieder, als wäre er sich im klaren darüber, dass sowieso niemand versteht, was er da von sich gibt. „Nun ja, es sind schon Menschen, aber…“ Die junge Frau unterbricht ihn mit einem Handzeichen, der Musik lauschend, weiß sie, was es ist, und überrascht darüber sagt sie „das ist David Bowie und Moonage Daydream.“ Alex schaut ihr in die Augen, und Tränen der Erleichterung darüber, dass dort jemand sitzt, der verstanden hat, rinnen seine Wangen hinab. „Ja. Es sind die Zeichen, überall um uns herum. Wir müssen sie lediglich erkennen…“